Lieber Gutmensch als Arschloch!

Das Unwort des Jahres 2015 ist also „Gutmensch“. Mit dieser Auszeichnung lenkt die Sprachkritische Aktion, die aus mehreren Sprachwissenschaftler_innen und Journalist_innen besteht, seit 1991 Aufmerksamkeit auf problematische Begriffe, denen im jeweiligen Jahr große Bedeutung beigemessen wurde. Für das Jahr 2015 mit seinen meisten Angriffen auf Unterkünfte für Geflüchtete seit Jahrzehnten war das der „Gutmensch“, in dessen ursprünglicher Bedeutung die Behauptung steckt, die Kombination von gut und Mensch sei eigentlich schlecht. Das Wort ist als perfider Kampfbegriff erfunden worden. Die Definition ist jedoch nicht immer klar. Wer Gutmensch als Beleidigung benutzt, meint damit meist relativ unterkomplex Heuchelei, Weltfremdheit, mangelnden „Realismus“. Als wäre es keine Heuchelei monströsen Ausmaßes, wenn dieselben Leute, die noch vor kurzem den #Aufschrei verspotteten, sich nun zu Köln ganz plötzlich in einen ziemlich rassistischen Pseudofeminismus kleiden und 1000 Menschen pro Tag abschieben wollen.

Und genau aus dieser Ecke kommen dann auch diejenigen, die am lautesten „Gutmensch“ schreien. Aus der rassistischen, antifeministischen, neurechten, Verschwörungen liebenden, aufstampfenden Ecke. Denn als Gutmenschen werden auch Leute bezeichnet, die Rassismus ablehnen und bekämpfen, die Sexismus, sexualisierte Gewalt und ähnliche Menschenfeindlichkeit bekämpfen, die eine Idee und Umsetzung von Umweltschutz fördern, die Antisemitismus benennen und kritisieren. Kurzum alle, die die behaupteten „europäischen“ (sie müssen ihrem Wesen nach aber gerade universell sein) Ideale der Aufklärung nicht nur heranzitieren, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern selbst auch in ihrem Handeln praktisch umsetzen.

Alle, die eine Position einnehmen, die nicht nur ein erfundenes „Wir“ über projizierte „andere“ stellt, deren „Kultur einfach total anders“ sei und die deshalb in dieser rassistischen Vorstellung z.B. automatisch vergewaltigen. Früher sagte man noch „Rasse“, heute meint man dasselbe, sagt es aber nicht so recht. Menschen, die abfällig „Gutmensch“ sagen, positionieren sich in aller Regel selbst gar nicht, sie behaupten von sich eine philosophisch äußerst dünn begründete Objektivität. Sarrazin ist dafür ein anschauliches Beispiel. Mit einem sehr deutschen und beamtenmännlichen – und methodisch in aller Regel sehr fragwürdigen – Zahlenfetisch konstruiert er sich eine Bedrohung eines „Wir“ (Deutschland), das von den genetisch minderwertigen Muslim_innen via Geburtenrate zerstört wird.

Mittlerweile werden die Forderungen Sarrazins, „Deutschland“ zu verteidigen, von einigen zehntausend Leuten in die Tat umgesetzt. Mit Pegida und den Ablegern, bei denen sich ein historischer Vergleich mit der NSDAP durchaus lohnt, einer immer gespenstischer offen faschistischen AfD, einer homophoben Bewegung v.a. in Baden-Württemberg, hunderten Angriffen auf Geflüchtete und schlicht alle, die nicht ins Weltbild passen, rechten Fackelaufmärschen, Bombenanschlägen auf linke Politiker oder Unterkünfte von Geflüchteten, sogar Schüssen auf Schlafende, Morddrohungen gegen Journalist_innen, einen Anwalt der NSU-Nebenklage und andere, wird der Kampf gegen alle aufgenommen, die irgendwie fremd erscheinen.

Horst Seehofer gab 2010 an, „bis zur letzten Patrone“ gegen Einwanderung zu kämpfen. Es ist klar, dass das manche auch als Legitimation für den NSU verstehen und sich ermutigt sehen. Denn auch da wurde bis zur letzten Patrone gekämpft. Worte geben Ideen eine Gestalt und führen zu Taten. Das Wort Gutmensch bekleidet in seiner bisher noch oft so verstandenen Bedeutung den Zynismus unserer Zeit. Zynismus ist aber abzulehnen, denn er verschlimmert nur alles und wird uns nicht retten. Er ist nur eine letztlich feige, erbärmlich hilflose Antwort auf regelmäßige Enttäuschung. Menschen wollen sich mit einem emotionalen Panzer schützen, um nicht ständig verletzt zu werden. Sie flüchten aus einer klaren Position ins ungefähre Nichts, aus dem heraus sie hämisch auf alle spucken, die sich zumindest für eine bessere Welt einsetzen. Das muss aber nicht sein. Wer ein zu geringes Selbstbewusstsein hat, um Schwächen oder Verletzungen zuzugeben und das durch vermeintlich kraftvoll auftretenden Zynismus kaschieren möchte, legt kein Zeichen von Stärke ab, sondern ein Armutszeugnis. Wir brauchen aber im Moment umso stärkere Menschen. Wir alle – ja, es gibt ein nichtfaschistisches Wir, das sich nicht prinzipiell über andere erhebt und alle 7 Milliarden Menschen einschließt – müssen dem Irrsin Einhalt gebieten.

Und dafür brauchen wir eine Geisteshaltung, die sich nicht in der Defensive erschöpft und Angst davor hat, im schlimmsten Fall mit dem Vorwurf, ein Gutmensch zu sein, konfrontiert zu werden. Stattdessen müssen wir in die Offensive gehen. Und der erste Schritt dabei ist, die absurde Unterstellung, ein Gutmensch sei schlecht, zu unterwandern, indem wir uns selbst so nennen. Da die Definitionen sich sehr stark widersprechen, haben wir selbst eine mitgebracht: Ein Gutmensch ist ein Mensch, der sich größte Mühe gibt, kein Arschloch zu sein. Das impliziert, dass niemand per se besser ist. Diese Hybris können wir getrost den Bessermenschen überlassen. Gutmenschen geben sich individuell Mühe und setzen sich dafür ein, dass sich auch alle anderen für eine gerechtere Welt einsetzen. Niemand kann alles tun und alle machen auch einmal Fehler. Aber der größte Fehler momentan wäre, den anbrandenden Wellen des Faschismus nachzugeben und aus Imagegründen Angst zu haben. Denn wir haben etwas zu verteidigen! Und selbst das werden wir verlieren, wenn wir nur so defensiv an den Kampf herangehen. Wollen wir warten, bis Marine Le Pen französische Präsidentin ist? Wollen wir warten, bis die AfD mit der CDU koaliert, die Grenzen komplett dichtgemacht werden (ja, viel dichter wird schwierig, aber unterschätzt nicht die Kreativität des Rechtspopulismus), Bürgerwehren überall bewaffnet patrouillieren? Wollen wir das?

Freundlichkeit ist keine Schwäche, Freundlichkeit ist in diesen Zeiten eine revolutionäre Tat. Und wenn jemand einen Grund dafür gibt, muss man ja auch nicht immer freundlich bleiben. Denn manche verstehen es nicht. Manche verstehen nicht, dass das rassistische Logo der Firma Neger in Mainz Teil eines rassistischen Systems ist, das allen schadet und manche sogar mit dem Tod bedroht oder sie auch tötet. Sie ändern ihr Verhalten nicht, wenn man sie bittet, doch wenigstens aus Höflichkeit auf derartig herabwürdigende Bilder und Begriffe zu verzichten, wenn sie ihr tiefsitzendes Ressentiment schon nicht aktiv angehen wollen. Freundlichkeit allein wird uns aber eben auch nicht retten, Strukturen ändern sich nicht ohne Macht.

Ahmed Said und 44.000 weitere politische Gefangene werden nicht durch freundliches Bitten allein aus den ägyptischen Folterknästen befreit werden. Sondern zum Beispiel durch Druck auf die deutsche Regierung, mit dem faschistischen Militärdiktator Al-Sissi vielleicht doch nicht ganz so eng zusammenzuarbeiten. Dennoch brauchen wir gerade bei der Beschäftigung mit all diesen schlimmen Themen und den Armeen der Einzelfälle die Gutmenschlichkeit in uns, um selbst nicht kaputtzugehen. Ich zumindest bin auf Dauer lieber Zivilist, esse Donauwelle und mache albernen Unsinn, um mich nicht aus Verzweiflung über all die Gewalt in der Welt von allen Nachrichten fernzuhalten. Das Leben ist schön, sonst müsste man ja nicht dafür kämpfen, allen Menschen auf der Welt Zugang zu dieser Schönheit zu verschaffen. Weltretten muss daher auch Spaß machen, sonst wird es auf Dauer niemand machen können. Aktivismus-Burnout hilft nämlich am Ende auch nicht. Wenn wir uns nicht mit den Zuständen beschäftigen, werden diese das sehr bald mit uns tun. Ohne uns zu fragen. Sie tun das sowieso schon. Und ja, es gibt eben auch Erfolge. Wer sich nur in Apokalyptik suhlt und dabei mitunter auch eine gewisse Angstlust ausstrahlt, übersieht, dass sich Engagement eben gerade sehr wohl lohnt. Dass in vielen Fällen eben tatsächlich auch Dinge erreicht werden. Dass die Welt sich ständig ändert und wir auch unseren Teil dazu beitragen. Und sei es, dass wir durch Schweigen und Wegschauen den jetzigen Verhältnissen implizit zustimmen. Es ist aber an der Zeit, unsere Stimme zu finden und laut zu werden.

Für die Gutmenschlichkeit.
Lieber Gutmensch als Arschloch!

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