Apfelfront-Aktivist vor Gericht: „Ich fühle mich kriminalisiert für mein demokratisches Engagement.“

Update: Tom R. wurde vom Landgericht Sachsen freigesprochen, nachdem sich die Hauptbelastungszeugin während des zweiten Verhandlungstages am 5.9. in Widersprüche verstrickte.

Leipzig. Heute findet um 12:30 Uhr am Landgericht Leipzig der Strafprozess wegen Körperverletzung gegen Tom R. statt. In der ersten Instanz wurde der langjährige Apfelfront-Aktivist vom Amtsgericht Leipzig für das Verletzen der Polizeibeamtin Sarah H. Anfang des Jahres für schuldig befunden.

Sich über zehn Jahre für gewaltfreien Protest auf Demos einsetzen, und zum Dank von der Polizei wegen einem angeblichen Tritt in den Rücken angeklagt werden: Sachsen macht’s möglich. Am heutigen Tag geht der Prozess hinter diesem Vorwurf in die Berufung.

Am Rande der LEGIDA-Demo am 2. März 2015 soll es passiert sein: Tom R. war im Rechercheauftrag der Front Deutscher Äpfel unterwegs – einem Kunstkollektiv, das sich seit über zehn Jahren mit künstlerisch-satirischen Mitteln gegen nationalistische Umtriebe einsetzt. Die Apfelfront hat schon längst auch außerhalb von Demozirkeln mediale Bekanntheit erlangt und fand ihren Weg in polizeiinterne Schulungen der gesamten Bundesrepublik. Insgesamt reagierte die Polizei meist wohlwollend auf die Apfelfront, da diese Gewaltanwendung gegen Menschen im Demokontext stets als strategisch fragwürdig verstand, dies öffentlich bekundete und somit deeskalierend auf die gesamte Demosituation wirkte.

Insofern verwundert es nun, ein langjähriges Mitglied dieses Kunstkollektivs vor Gericht zu sehen. Zusammen mit einem Kameramann verfolgte Tom R. das Demogeschehen.

Zwar war er in zivil unterwegs – wie bei Apfelfront-Recherchen üblich. Doch hätte spätestens bei der ersten Verhandlung seine über zehnjährige Tätigkeit in diesem Kollektiv doch das ein oder andere Fragezeichen provozieren müssen.

FICKO: Kurz vorweg – ist das Ganze ein elaborierter Apfelfront-Prank, oder passiert das ernsthaft?

Tom R.: Schön wäre es ja. Man könnte das bei der Absurdität auch behaupten. Aber das stimmt so nicht, das alles findet tatsächlich statt. Ich sehe mich im Angesicht einer beträchtlichen Strafzahlungsandrohung. Und primär einem Urteil, das gegenüber einem Unschuldigen gesprochen wurde. Dem stehe ich verwundert gegenüber und stelle mir natürlich die Frage zu einer gerechten Beurteilung des Ganzen.

Die, die dich kennen, konnten es sich selbst beantworten, aber für alle anderen nochmal: Warst du’s?

(Schallendlaut) Nein! Ich war es nicht. Ich betone hiermit noch einmal meine Unschuld.

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Wie lief die Urteilsfindung im ersten Prozess vorm Amtsgericht ab?

Der erste Prozess lief unter Beteiligung von vier Zeugen. Davon waren drei Polizeibeamte, unter anderem die Polizistin Sarah H., die verletzt wurde. Außerdem ein Zeuge von mir. Alle vier haben ihre Aussage getätigt, wobei man das Gefühl hatte, dass den Polizeizeugen seitens des Gerichts mehr Sicherheit in der Einschätzung der Lage zugesprochen wurde. Ich hatte das Gefühl, das die Aussagen meines Zeugen, mit dem ich durchgehend unterwegs war, mehr in Frage gestellt wurden, als die der anderen.

Das Urteil wurde maßgeblich dadurch begründet, dass die geschädigte Polizistin mich wiedererkannt habe. Das ist de facto unmöglich, da ich mich gar nicht zu dem Zeitpunkt am Tatort befunden habe, sondern 45 Minuten später anderswo aufgegriffen wurde. Sarah H. meinte, mich erst dann „zu 100%“ erkannt zu haben, als sie mich „wieder“ gesehen hat.

Als ich aufgegriffen wurde, machte ich den Fehler, einen witzig gemeinten Spruch loszulassen: „Ach, wegen vorhin“. Damit meinte ich einen Demoausruf von mir. Der Satz wurde aber sofort als ein Zugeben des Körperangriffs ausgelegt, von dem ich zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nichts wusste.

Auf dieser wackeligen Basis wurde ich schuldig gesprochen. Deswegen und besonders aufgrund meiner Unschuld habe ich mich entschlossen, in Berufung zu gehen.

Allgemein ist die sächsische Justiz ja durchaus als rechts-konservativ verschrien. Was sagst du dazu?

Mittlerweile kann ich diese Einstellung sehr gut nachvollziehen. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich eines solchen Verbrechens bezichtigt werde – gerade weil ich einen performativ beschlagener FDÄ- und PARTEI-Aktivist bin, der schon jahrelang für gewaltlose Interaktion auf Demonstration einsteht.

Was kommt auf dich zu, wenn du verlierst?

Ich wäre nicht vorbestraft, sollte ich schuldig gesprochen werden. Dennoch erwarten mich 90 Tagessätze á 30 Euro. Plus eine Reihe von Prozessnebenkosten, also Gerichtskosten, Anwaltskosten, Auslagen, plus ziviler Schadensersatzforderung vonseiten der geschädigten Beamtin, die sind bereits angekündigt. Summa summarum kommen 12.000-15.000 Euro zusammen, die ich, sollte ich verlieren, gänzlich selbst zu tragen hätte.

Wie fühlt sich das an?

Richtig belastend fühlt sich das an. Also von den Zweifeln, wie das Ganze ausgeht – bereits in den letzten 1,5 Jahren. Man ist ganz klassisch den Gerichten unschuldig ausgeliefert und steht gegenüber Polizeiaussagen, die grundsätzlich schwerer gewichtet werden. Und demgegenüber zu stehen, ohne meine Unschuld beweisen zu können und nur darauf hoffen zu können, dass es gut ausgeht, ruft ein großes Ohnmachtsgefühl hervor. Ich fühle mich kriminalisiert für mein demokratisches Engagement. Man denkt da schon an Kafka.

Für alle braven Antifaschist*innen: Wer hilft dir? An wen kann man sich wenden?

Grundsätzlich gibt es ja Institutionen, wie die Rote Hilfe, für sowas, die ich immer sehr empfehlen würde zur Orientierung. Ich habe mich auch an andere politisch Aktive gewandt und mich dazu beraten lassen, was überhaupt passieren kann. Und mir natürlich einen Anwalt besorgt. Wem es ähnlich gehen sollte, dem sei angeraten, sich auch an Aktivenbündnisse wie „No Legida“ o.ä. zu wenden. Ich bin ja nur einer von vielen.

Ich habe mich auch direkt an die Presse gewandt und mich an erster Stelle um Berichterstattung in der Lokalpresse bemüht, die die Apfelfront hierzulande ja kennen.

Plant ihr Solidaritätsmaßnahmen? Wie können engagierte Leser*innen von FICKO dich unterstützen?

Sollte ich den Prozess verlieren, stehen wie gesagt horrende Zahlungen an, die ich nicht in der Lage bin, selbst zu tragen. Daher wird es ein Spendenkonto geben, um die Prozesskosten zu tragen. Und natürlich streben wir als Apfelfront an, diesen Fall weiter zum Politikum zu machen und die sächsischen Verhältnisse erneut zu hinterfragen.

 

Das Gespräch wurde im Vorfeld des Prozesses von Linnéa Borealis und Max Upravitelev geführt.

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