FICKO wird neun und feiert – Ein Gespräch mit Sui Sofie

Ende 2016 landete ich mehr oder weniger zufällig in der Villa Neukölln auf einer Party. Mein Date hatte mich versetzt, auf den letzten Metern bekam mein Hinterreifen einen Platten und auch die anderen Freunde wollten sich irgendwie nicht bequemen, endlich mal vorbeizukommen. Als dann auf der Bühne bei der inhaltlichen Veranstaltung vor der Party auch noch jemand was vom „Genozid“ in Palästina erzählte, war meine Geduld am Ende und ich war kurz davor, den Tag abzuhaken, in die Luft zu jagen und mein Fahrrad in Kleinteile zu zerlegen.
Ich hatte ja aber auch schon Eintritt bezahlt und vielleicht kämen meine Freunde ja doch noch, also blieb ich. Eine sehr gute Entscheidung. Denn die Musik, die dann einsetzte, war sehr interessant, machte Laune und ließ mich auf die Tanzfläche los. Und als später Sofie anfing, wurde das alles noch auf ein ganz anderes Level gehoben. Ich hatte kein Geld für Alkohol, das brauchte es aber auch gar nicht. All mein Frust landete auf dem Dancefloor, aus meiner schlechten Laune wurden ausufernde Moves. So einen wundervollen Instrumentaltrap hatte ich noch nicht gehört und weil anfangs noch viel Platz zum Dancen war und ich gerade sowieso schon geladen war, kam das alles ganz gut zusammen. Ich tanzte mir buchstäblich den Frust von der Seele.
Im Anschluss sprach ich Sofie an und fragte sie, ob sie in der fernen Zukunft eventuell auf einer FICKO-Party auflegen würde. Diese Zukunft ist jetzt, nächsten Freitag feiern wir auch mit ihr im New Yorck am Bethanien in Berlin-Kreuzberg 9 Jahre FICKO und zur Vorbereitung habe ich mich mit ihr unterhalten.

Hallo Sofie! Du legst ja schon etwas länger auf. Magst du ein bisschen erzählen, wie du da so reingeraten bist?

Ich versuche es kurz zu halten, aber eigentlich habe ich schon als Kind Kassetten und CD’s mit Musik, die ich mochte, für alle möglichen Gelegenheiten zusammengestellt, z.B. zum Tanzen, Einschlafen etc. Gleichzeitig bin ich in Frankfurt/Main auf Parties in selbstorganisierten linken Projekten, wie z.B. dem IVI, früh mit elektronischer Musik in Berührung gekommen. Musik hören und machen ist schon immer ein Teil von mir gewesen. Es gab aber sogar einen sehr konkreten Moment, an dem ich ziemlich genau festmachen kann, wie ich mich dazu entschieden habe, mich mit der Technik, die zum Auflegen dazu gehört, auseinanderzusetzen. Und zwar als ich 20 war und auf Familienbesuch in Berlin, abends irgendwann alleine in die wilde Renate gezogen bin. Irgendwann gegen 4 Uhr morgens, fing eine Frau an aufzulegen; Mira, mittlerweile recht bekannt. Diese für mich damals sehr neue Art von elektronischer Musik in Verbindung mit einer Frau die an den Reglern steht, hat mir einen richtigen Hieb versetzt und mir war klar „Ich mach das!“, vor allem, weil ich mehr zu solcher, anderer Musik tanzen wollte. Frankfurt war meist ziemlich straighter Techno. Dann habe ich mir das einfachste Equipment, das ich leihen konnte, bei einem Freund geschnappt und erstmal Sets für mich zum Tanzen aufgenommen. Irgendwann war ich auf einer Party, kannte den DJ und hatte einen Stick dabei. Bin nach vorn und habe gefragt, ob ich es mal 20 Minuten probieren kann. Er hat mich gelassen, was ziemlich cool war von ihm. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er einfach überrumpelt war. Aber ich rechne es ihm hoch an. Denn es ist nicht so selbstverständlich, dass jemand Zeit abgibt bei einem Gig.

Und hat’s geklappt?

Was genau?

Das Auflegen

Damals war es ziemlich holprig, aber die Musik war gut 🙂. Und es gibt Freunde, die sich noch genau daran erinnern, wie schön die Musik war. Was mich natürlich bestärkt hat. Nach zwei Jahren habe ich dann immer mal wieder in Frankfurt aufgelegt, meistens auf halblegal organisierten Parties. Und musste ehrlich gesagt auch den ein oder anderen leeren Dancefloor aushalten, weil die Ravekids die Musik noch nicht gewohnt waren. Aber ich war einfach fest davon überzeugt, dass wenn niemand mal was anderes spielt, auch nie was anderes gehört bzw. dazu getanzt wird. Meine Sturheit hat sich ausgezahlt, irgendwann wurde ich genau deswegen angehauen, was mich natürlich immer noch echt freut. Als es eigentlich ganz gut am laufen war, habe ich aber rüber gemacht nach Leipzig. Auch weil es musikalisch unglaublich interessant und weitaus vielfältiger ist und es weniger darum geht eine krasse Party zu liefern als darum sich einfach auszuprobieren und ehrlich zu sein.

Kannst du festmachen, ob und was sich durch das Auflegen an deiner Weltsicht geändert hat? 

Ich weiß nicht, ob sich meine Weltsicht durch das Auflegen verändert hat, oder auch durch alles andere, was so passiert in einem Leben. Aber natürlich habe ich das ein oder andere gelernt. Über die Szene, den Veranstaltungsbetrieb, nicht zuletzt über mich. Am Anfang hatte ich, neben unglaublicher Neugier und Lernlust, vor allem Angst und Scham. Angst etwas nicht zu können, zu wissen, mich dadurch bloßzustellen, sozusagen aufzufliegen. Mit einer sehr verkorksten Form von Respekt vor anderen, ungefähr so, in der ersten Zeit: „Alle checken es und können es und sind krass“, damit sind vor allem sich männlich identifizierende Menschen gemeint, denn die haben eigentlich meistens in meiner unmittelbaren Umgebung aufgelegt und Ahnung gehabt. Vor allem sich an die Technik zu trauen, war anfangs nicht leicht. Als Kind habe ich mir jedes elektronische Gerät erschlossen, dann irgendwann habe ich das nicht mehr getan und allen Ernstes gedacht ich sei technisch unbegabt.

Vielleicht lag es auch an der Mathelehrerin in der 8. Klasse, die meinte meine Kopf sei nur zum frisieren gut…😀 Kein Flachs, ist genau so passiert. Zum Glück war meine Neugier stärker als meine Angst und ich fing an mich durchzufragen und nahm in Kauf als unwissend aufzufliegen. Irgendwann habe ich, nicht zuletzt durch Unterstützung einiger männlicher Freunde, verstanden, dass es einfach darum geht: sich zu trauen, egal was passiert. Es passiert nämlich nichts Schlimmes. Fehler sind eigentlich das beste, was passieren kann. Manchmal ensteht dadurch versehentlich etwas, was unglaublich spannend ist und sie formen das Verständnis von einer Sache. Auch Gigs die nicht so gut laufen, sind gut, sie geben eine Richtung. Und wenn ich anderen eine Sachen als Mitgeben könnte, die mit egal was anfangen wollen, aber vielleicht auch gerade Mädchen und jungen Frauen: Scheiß auf alles, du kannst nichts falsch machen. Vorallem gibt es nicht die eine Art aufzulegen. Auch wenn manch einer so tut, als wäre das so. So ist das nicht. 😉
Und sollte mal wieder eine Runde cooler Jungs, coolen Techtalk untereinander abhalten, nutzt die Gelegenheit und stellt Fragen, entweder ihr merkt, das sie alle auch nicht so krass sind und viel Ahnung haben oder ihr lernt richtig was. Und ich sollte noch hinzufügen, das ich auch nach ein paar Jahren, immer mal wieder noch die alten Ängste habe, wenn es darum geht etwas Neues zu erlernen und weiter zukommen. Aber auch das ist etwas Schönes, denn es drückt nur aus wie wichtig es ist und das es sich gerade da lohnt seine Angst zu überwinden.

Ja, von solchen Schammomenten und einfacher Draufloslegung hatten wir bei FICKO auch schon einiges und ich habe auch den Eindruck, dass ich kaum so viel gelernt habe wie aus Fehlern. Der Zwang zu Coolness verhindert nur so oft die Vermittlung dessen, was man daraus lernt. Hast du bei der Betrachtung des Publikums, das ja anfangs auch eher irritiert war von der Musik, auch etwas über die Überwindung von Ängsten gelernt? Ich habe z.B. selbst jahrelang lernen müssen, mich zu tanzen zu trauen und hatte den Eindruck, dass das Frauen leichter fiel.

Ja, auf jeden Fall habe ich was durch das Publikum gelernt. Einmal, dass es wirklich immer mindestens eine Person gibt, die mich versteht. Wirklich immer. Wenn nicht sogar ein paar mehr. Und dass, wenn die wenigen für sich etwas Schönes oder Neues erfahren konnten, es sich schon mehr als gelohnt hat. Aber auch, dass eine Masse an Menschen, die sehr eindeutig etwas will, natürlich Druck ausüben kann, dem mensch sich auch beugen kann. Als ich das mal gemacht habe, hatte ich richtig schlechte Laune. Obwohl es der super Rave war und am Ende alle gejubelt hatten, war ich nicht im reinen mit mir. Und das mit dem Tanzen, kann schon sein, aber woran meinst du, könnte das liegen? Mein erster Gedanke ist, traurigerweise, dass ich, als weiblich gelesene Person, es ziemlich gewohnt bin, dass mein Körper gesehen wird, beurteilt wird, etc. und ich mich somit in der Situation des Tanzens, also des Körperzeigens, auskenne, die Bewertung nicht fürchte, da sie mir sowieso ständig widerfährt. Das ist jetzt extrem beschrieben, aber ich glaube in unterschiedlichsten Nuancen könnte es sich so abspielen.

Das klingt extrem plausibel, ja! Der Moment, in dem ich bewertet werde, war mir jedenfalls immer die Hölle. Zudem ist Tanzen ein körperlicher Ausdruck von Emotionen und das ist in einer klassisch männlichen Sozialisation etwas, das für Männer nicht so richtig vorgesehen ist. Also abgesehen von Cholerik und Hass. Gefühle, die als weiblich gelten und/oder mit irgendeiner Art von Schwäche assoziiert werden können: Freude, Ausgelassenheit, Empfindsamkeit etc. gelten ja dann schnell als unmännlich und dürfen nicht stattfinden. Echte Männer haben sowas nicht, beschäftigen sich nicht damit und umso größer ist dann natürlich die Hürde, überhaupt zu tanzen.
Aber wir sind ja auch alle fähig, solche Rollen aufzuweichen, zu durchbrechen und zumindest im Kleinen voranzukommen. Hast du solche Momente der Befreiung schon mal beim Auflegen erlebt? Eine fröhliche Ekstase, in der Menschen bei sich sind, den Moment genießen und ausdrücken und das sich auf andere überträgt, sie wiederum mitreißt und alles ist wunderbar? Eine Gesellschaft der Vielen auf der Tanzfläche, wo alle so dürfen, wie sie eben möchten oder sind, solange sie niemandem auf die Füße treten? 

Ja, wir können und sollten diese Rollen auflösen bzw. können wir unsere Aufmerksamtkeit darauf richten, wie fließend die Grenzen sind und wie willkürlich die meisten gezogen sind. Gleichzeitig ist es für mich manchmal erschreckend, wenn ich feststelle, das die eine oder andere festgefahrene Vorstellung zu männlich und weiblich, ziemlich tief sitzt. Aber so ein Schreck, ist ja auch schon das Zeichen dafür, das mensch das nach und nach in Frage stellt und loslassen möchte. Eine Gesellschaft der Vielen konnte ich schon durchaus viele Male auf einem Dancefloor sehen. Nämlich dann, wenn die Menschen irgendwann fast alle vergessen haben, dass ich auflege und einfach nur noch tanzen, jede*r auf ihre/seine ganz eigene Art und Weise und doch miteinander. Alle diese Facetten an Bewegungen, die dennoch in einer, sich gemeinsam wogenden Menge eingebettet sind, berühren mich immer wieder. Der Kontrast dazu ist für mich: Alle schauen entwas angespannt in Richtung DJ, tanzen ein wenig wie in einem Loop und es liegt etwas von Warten auf „Keiner weiß es eigentlich so genau“ in der Luft.

Mir fällt gerade auf, dass dieser Moment, den du beschreibst, in dem Leute tanzen statt nach den anderen zu schauen, ein ziemlich gutes Bild für die Gesellschaft der Vielen ist. Die Subjektwerdung, Menschen drücken sich aus, wie sie möchten und sie schauen nicht zuerst, was die anderen wohl dazu sagen. Und das geht auch noch, alle dürfen. Das ist ja ein ziemlich befreiendes Gefühl.

Ich glaube das nach den anderen zu schauen ist auch sehr tief in Menschen drin, aber es ist nicht unbedingt was schlechtes. Das bewerten und es in einen Bezug zu sich zu bringen, löst diesen sozialen Stress aus. Es ist aber auch möglich diesen Reflex als unsere Achtsamkeit für einander zu beschreiben und umzudeuten. Manchmal wenn ich merke, dass mein Kopf, meine Umgebung und die Menschen darin in statische Einzelteile zerlegt, trickse ich ihn aus indem ich jeden Gedanken in eine Frage verwandle. Also anstatt zu denken: Das ist so und so, frage ich mich: Ob das wohl so ist? Oder auch anders? Fragen öffnen immer einen Raum, der mit allem Möglichen frei ausgefüllt werden kann. Ich glaube, dass eine gute Frage eine Brücke ist hin zu einem Raum der Begegnung. Solange wir einander fragen, sind wir bereit uns zu begegnen. Stellt Fragen. Es ist gar nicht so leicht, wie vielleicht gedacht, aber es lohnt sich. Um etwas zu lernen oder um sich und andere anerkennen zu lernen. Stellt Fragen.

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