Ich bin ein Sexist



Da sag ich es wieder: „Was bistn Du fürn Mädchen?“ Sexist. Eindeutig, es gibt keine Entschuldigung. Mädchen sind nichts Verwerfliches und von daher ist es auch keine besonders schlaue Art jemanden als solches zu bezeichnen, wenn man findet, dass er sich anstellt. Da kann man auch sagen: „Warum stellst Du Dich denn so an?“ Das klingt aber eher nach einer ernstgemeinten Nachfrage und nicht nach einer schlichten Beleidigung. Alles an dem gesagten Satz ist falsch. Und er kam ohne nachzudenken. Ich bin eine Frau, ein Mädchen. Und ich bin ein Sexist.

Witzigerweise bin ich für meine Freunde, Bekannten und Kollegen die totale Emanze. Ich leg mich am laufenden Meter mit Menschen an, weil ich die Geduld damit verliere, dass ich doof behandelt werde. Ich spreche gerne von dem „grauenhaften Chromosomenschaden“, mit dem ich auf die Welt gekommen bin: Doppel X. Ein echtes Problem. Schließlich bedeutet das offenbar, dass ich nicht auf mich selbst aufpassen kann und fortwährend Hilfe von Leuten bekomme, die ein Y spazieren tragen. (Soweit wir alle wissen, Biologie funktioniert ja sehr viel komplizierter, als die allermeisten Menschen wahrhaben wollen.)

Ich wehre mich gegen diesen Schwachsinn, weil ich einfach nicht vernünftig arbeiten kann, wenn mir ständig jemand meinen Job nicht zutraut, nur weil ich phänotypisch weiblich bin. Ich kann auch nicht ordentlich meinen Sport trainieren, wenn meine Trainingspartner zu verklemmt sind, um mich anzufassen, weil ich eine Frau bin. Ich krieg die Krise, wenn mir jemand ein Paket aus der Hand reißt, weil er es ja viel besser tragen kann. Ich bin über dreißig und im Vollbesitz aller körperlichen und geistigen Kräfte, die ich wohl in diesem Leben erhalten werde. Ich kann verdammt noch mal selbst entscheiden, wann ich Hilfe brauche. Und Hilfe, um die keiner gebeten hat, ist ein Übergriff. Hört auf ständig übergriffig zu sein.

Warum also, bezeichne ich jemanden, der sich in meinen Augen dämlich anstellt, reflexhaft als Mädchen?

Mein Freundeskreis ist in der Regel eher links. Mein soziales Umfeld, professionell und privat, besteht überwiegend aus Männern. Und laufend bin ich dabei, jemandem zu erklären, dass er jetzt bitte mal die Füße stillhalten kann. Das läuft eher so mittel. Ich höre immer wieder, dass ich nicht so aggressiv sein soll, das den Leuten nicht so vor den Kopf knallen soll. „Wenn Du willst, dass sie dir zuhören, musst Du ihnen Brücken bauen.“ Und ich könnte sofort auf den Tisch kotzen, weil ich den Deppen, die mir erklären, dass ich klein, schwach und hilflos bin, ganz sicher nichts getan habe.

Aber okay, wir brauchen Dialog. Also versuche ich mal zu reden und dazu brauchen wir erst mal eine gemeinsame Basis. Liebe Männer, ich bin ein Sexist. Wie ihr. Ernsthaft. Es vergeht fast kein Tag, an dem ich mich nicht schon wieder dabei erwische, scheiße zu anderen Frauen zu sein. „Du musst mal Deinen Frauenhass loswerden. Das ist doch auch nur eine verquere Form von Selbsthass.“ Ist es. Und deswegen streite ich mich auch darum. Ich will mich nicht mehr minderwertig fühlen. Und ich will auch nicht, dass jemand anders sich minderwertig fühlt, nicht wegen mir. Ach, da gestehe ich mir vielleicht zu viel Einfluss zu. Aber ich will nicht, dass jemand mitbekommt, dass ich ihn scheiße behandele. So. Ich will einfach niemanden scheiße behandeln. Auch mich nicht.

Genau genommen habe ich es nicht sonderlich schwer. Ich bin eine gut ausgebildete, weiße Frau der westeuropäischen Mittelklasse. Armut war nie mein Problem, Rassismus war nie ein Problem für mich persönlich, ich bewege mich in einem Land, dass ich kenne und dessen Anforderungen ich erfülle. Ich bin eine Hete und führe eine sozial akzeptierte Beziehung. Und ich bin eine cis-Frau. Das bedeutet, dass ich nach den geltenden (reichlich dämlichen) Kriterien immer als Frau durchgehe. Ich gehe sogar als vertretbar hübsch durch, von daher ist das noch ein Feld, in dem ich Privilegien genieße. Und dennoch komme ich mir regelmäßig von mir selbst und anderen verarscht vor.

Ich hatte noch nie Zweifel daran, ob ich mich selbst als weiblich identifiziere. Aber ich hab ja schon im Kindergarten nicht geglaubt, was mir die anderen erzählt haben, was das bedeutet. Ich habs beispielsweise nicht mit Pferden. Die Äußerung ist genau genommen schon derart grenzdebil, dass einem dazu einfach mal gar nichts mehr einfällt. Ich mag kein rosa. Hammer oder? Schuhe beschäftigen mich in der Regel nicht besonders. Ich bin kein Fan von Shoppen. (Das sind alles Sachen, die mir schon nachgesagt wurden, sehr zu meiner Verwunderung.) Und da habe ich von klein auf was Wichtiges gelernt: Wenn Du willst, dass die Jungs Dich ein bisschen ernst nehmen, dann darfst Du nichts machen, was sie nicht auch machen würden. Ich habe also immer raushängen lassen, dass ich auf laute Gitarrenmusik stehe, eine Achtziger fahre und Emanzen für total nervtötende Zeitverschwender halte. Hab ich schließlich gar nicht nötig, so ein blödsinniges Gefasel. Nervt ja nur. Und ich kann ja alles machen, was ich will. Ich bekenne an dieser Stelle, dass ich schon mal laut folgenden Satz zum Besten gegeben habe und ich schäme mich noch immer „Diese Scheiß-Kampflesben gehen mir so auf den Sack, die gehören doch alle mal ordentlich gefickt.“ So. Tiefer kann man eigentlich nicht sinken.

Die Frage, die sich förmlich aufdrängt, ist: Warum zur Hölle war es mir so wichtig, von Jungs ernstgenommen zu werden? Warum wollte ich einer von den Jungs sein? Und ich kann es mir nur damit erklären, dass ich einfach mal meinen Scheiß machen wollte. Ich mochte Physik. Ich hab dann gelernt, dass man als Mädel da angeblich unfähig ist. Ich mochte meine Achtziger fürchterlich gerne. (Honda MTX, großartiges Teil.) Ich wollte einfach mal durch die Gegend latschen, ohne mir einen Kopp darum machen zu müssen, ob mir irgendjemand angeblich an die Wäsche will. Ich wollte einfach mal graderaus meine Meinung sagen. Und ich wollte verdammt nochmal Black Metal hören und mich mit anderen darüber unterhalten. Und ich wollte meine eigenen Entscheidungen treffen, ohne jemanden vorher fragen zu müssen. Ich wollte verdammt nochmal nicht in Angst leben, dass ich aufs Maul kriege, wenn ich einfach nur meinen Scheiß mache, weil es mir Spaß macht. (Klingt dramatisch, ne? Geh mal als Mädchen zur verdammten BUSHALTESTELLE, ohne dass irgend eine wohlmeinende Verwandte Dir vorschreibt, dass Du nicht an so nem Busch vorbei darfst, dass Du nachts schon mal gar nicht den Bus nehmen darfst, dass Du so angezogen nicht rausgehen kannst und ob das wirklich so ne gute Idee ist, mit einem Haufen Jungs abzuhängen. Mach das mal drei Tage, ohne das Gefühl zu kriegen, dass Du in ständiger Angst leben musst.) Also hab ich wohl gelernt, dass ich einfach ein besserer Junge werde. Ich hab vielleicht lange Haare, aber das hatten die „Mettler“ auch. Ich hab mir die größten und fiesesten Band-T-Shirts angezogen und gelernt, mich so zu bewegen, dass ich in Ruhe gelassen werde. Das ist gar nicht so einfach, wenn man gerade mal einen Meter sechzig groß ist und wohl als „zierlich“ charakterisiert würde, aber es gibt mehr als genug Jungs, die davon auch ein Lied singen können. Und was Jungs machen, ist, Mädchen doof finden. Ta-da. (Ich hatte niemals Verehrer – oder sie haben es mir nicht erzählt. Aber das hat mich eher weniger gestört.)

Das kann eine Weile gut gehen. Und dann ziehst Du um. Und auf ein Mal fängst Du von vorne an. Das ist nämlich der Haken im System. Neues Umfeld und prompt bekommt niemand mehr mit, dass Du der Ansicht bist, dass Du ein Hirn hast, eine Meinung, eine Ansicht. Du hast Titten. Danke. So richtig gerafft habe ich das dann, als ich angefangen habe zu arbeiten. Wenn alle Jungs im Büro mittwochs zusammen Fußball spielen und Du noch nicht mal gefragt wirst, ob Du Bock hättest mitzumachen, dann ist klar, dass Dir wichtige Infos entgehen, die Dich an Deinem Fortkommen hindern werden. (Ich hätte im Leben kein Fußball gespielt. Aber dass ich noch nicht mal pro forma gefragt wurde, dass fiel mir schon auf.) Blöd auch, wenn alle sich am Kaffeeautomaten über neue Platten unterhalten und selbst wenn Du was dazu sagst, weil es gerade um Deine Lieblingsband geht, wird das einfach überhört. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und auf einmal drehen einem alle den Rücken zu. Und irgendwann wurde es auch mir zu doof, mich da anzubiedern.

So leicht wird man das aber nicht los.

Worauf ich hinaus will: Wir leben in einer sexistischen Welt. Und ich habe es bislang nicht geschafft, mich davon freizumachen. Aber ich kann es probieren. Und da sehe ich keinen Unterschied zwischen mir, und den hunderten und tausenden von Typen, die mir über den Weg laufen, die TOTAL pampig werden, wenn man ihnen Sexismus vorwirft, aber weiterhin erzählen, ich solle mich mal nicht so anstellen.

Vielleicht zur Illustration, was ich mir von „Nicht-Sexisten“ schon alles habe anhören müssen. „Stell Dich nicht so an.“ oder „War doch nur ein Witz.“ ist da nur der Anfang. „Dann kann man ja gar nichts mehr sagen!“ ist ja auch ein absoluter Klassiker. Irgendwann hab ich mich mal mit einem bekennenden „Nicht-Sexisten“ (nach eigenen Angaben) darüber auseinandergesetzt, ob eine Quote wohl eine gute Idee sei. Ich fand, ich hab die Faxen dicke von leeren Versprechungen und dann halt so. Er war der Meinung, dass es wirklich schändlich sei, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert seien, aber man dürfe nicht mit einer Quote kommen, weil die Männer dann sauer würden. Die Änderung müsse evolutionär kommen, aber er sei sich sicher in 30 oder 50 Jahren sei das geschafft. Und ich müsse da eben mal „zum Wohle meiner Tochter oder kleinen Schwester zurückstecken“. Nicht die Jungs. Ich. Damit die Jungs nicht böse werden. Wie wir diesen evolutionären Wandel herbeiführen, weiß ich übrigens immer noch nicht, denn als ich ihn fragte, warum er mich mit so dämlichen Floskeln abspeise und was er denn vorschlage, wenn er eine Quote für kontraproduktiv halte, hat er einfach nicht mehr geantwortet.

Ich seh es ja ein. Es ist total anstrengend, wenn man denkt, dass man alles richtig macht und auf einmal steht da jemand und ist sauer. Ich weiß das schon allein deswegen, weil ich oft genug der Depp bin, auf den ich sauer bin. Total anstrengend. Aber so wird’s doch auch nicht besser. Wir stecken jetzt alle den Kopf in den Sand, sagen nie wieder irgendwas böses, damit keiner beleidigt ist und hey: Die Welt bleibt wie sie ist. Grandios. Hier, nimm mein Paket und läster darüber, dass Tussen bei Umzügen nie richtig anpacken. Ich mach Dir solange ein paar Schnittchen.

Am Schlimmsten finde ich die Leute, die einfach ignorieren, dass es Frauen gibt. Das geht. Du kannst ohne jede größere Anstrengung niemals einen Autor lesen, der kein Mann war, niemals eine Platte hören, die nicht von einem oder mehreren Männern ist, niemals einen Politiker wählen, der kein Y-Chromosom zu haben scheint. Das geht. Und man kann das auch kommentieren mit: „Ich hab halt mal ein Buch von einer Frau gelesen und das hat mir nichts gesagt.“ (Wenn man dasselbe mit der Frauenperspektive versucht, wird es allerdings ziemlich schwer.) Aber soll ich Euch mal erzählen, warum ich das nicht verstehe: Laut der derzeitigen Zählung sind 52 Prozent der Weltbevölkerung Frauen. Das ist rund die Hälfte der menschlichen Erfahrung, aus der sich Männer einfach mal ausschließen. Sind die Jungs nicht neugierig? Und lasst Euch noch was verraten: Als Frau lernt man die Männerperspektive einfach mit, weil man sonst niemals irgendwo durchkommt. Und das geht so weit, dass ich zum Beispiel, zu einem Sexisten geworden bin. Aber ich weiß schon, dass ich kein Junge bin und auch keiner sein muss. Und irgendwann, wenn ich mal groß bin, dann kapier ich das auch endlich mal.

Und wenn ihr nicht mehr Sexist genannt werden wollt, dann müsst ihr Euch einfach mal anhören, was Frauen so zu sagen haben.

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