Maskulisten rasten aus: Die Pille für den Mann ist da!

Es ist die Red Pill, die rote Pille, die alles überstrahlende WAHR-to-the-HEIT! Ich hatte bis gestern nichts von diesem Konzept gehört, dass eine Pille die alles verändernde Wahrheit, die Wahrheit, die Wahrheit darstellen könnte. Jetzt kenne ich aber die wahre Geschichte. Wie bei Matrix! Du weißt schon, „WAKE UP SHEEPLE!“ Ich fühle mich ermutigt, damit an die Öffentlichkeit zu treten, obwohl mir alle nur Böses wollen.
Jochen König hat mich vor ein paar Wochen gefragt, ob ich ihn zur Vorführung des Films „The red pill“ begleiten wollen würde, der in Maskulistenkreisen (das sind die, die Feministinnen oder zumindest Feminismus hassen, von „Feminazis“, „Genderwahn“ usw. reden, sobald man erwähnt, dass es sinnvoll wäre, eine gerechte Welt für alle Menschen zu haben) und auf rechtspopulistischen Webseiten gehypet wurde. Der Titel bezieht sich auf die oben erwähnte rote Pille bei Matrix und ist seit ein paar Jahren ein Codewort für weinerliches Aufstampfen, dass Männer von Frauen unterdrückt würden. Weil sich für Deutschland kein professioneller Vertrieb fand (in den USA wohl auch nicht), wurde ein Crowdfunding angelegt, das mit 86 Unterstützern (waren wohl wirklich keine Frauen drunter) erfolgreich war, sodass der Film gestern Abend in Hohenschönhausen gezeigt werden konnte. Update: Der Film selbst wurde auch über ein Crowdfunding finanziert, das vor allem aus der Männerrechtsszene bezahlt wurde. So viel also zur „unabhängigen Berichterstattung“. Lest diesen Text für eine Einschätzung des Werks, wenn ihr euch den Rest hier sparen wollt.
Ich habe keine Zeit gehabt, mich richtig vorab zu informieren und wegen Bahnproblemen kamen wir zu spät, die ersten paar Minuten haben wir verpasst. Neben Jochen war auch noch FICKO-Kollege Marius dabei. Im Eingangsbereich vom Kinosaal stand ein Karton mit ca. 50 Exemplaren eines Buchs, das in weinerlichem Tonfall „Deutschlands Frauen schaffen ihre Männer ab“ heißt und auch in diesem an Sarrazin angelehnten Titel wieder die Nähe des Antifeminismus zu rechtspopulistischen bis komplett nazigetränkten Ideenwelten abbildet. Ich fragte anschließend, wer diese Bücher, die verschenkt wurden, eigentlich bezahlt, der Veranstalter schien etwas peinlich berührt bzw. nicht ganz gewillt, das auf seine Kappe zu nehmen und meinte, der Autor hätte wohl nicht alle Bücher verkauft und würde sie nun eben verschenken.

Der Saal war mit ca. hundert Leuten (fast nur Männer) ziemlich voll, wir fanden nur noch in der ersten Reihe Platz. Der Film erzählt ein bisschen geschickt die Story der bisher immer „total feministischen“ Regisseurin Cassie Jaye, die sich im Laufe des Films vom Feminismus abwendet und die Anliegen der Männerrechtsaktivisten immer besser versteht und sie auch schließlich teilt. Anliegen wie „Der Feminismus unterdrückt die Männer“, „Wieso gibt es keine Männerhäuser!?!?!?“, „Männer haben mehr Arbeitsunfälle und bringen sich häufiger um, also werden Männer vom Feminismus unterdrückt“. Was es mit ihrem Feminismus bisher so auf sich hatte, wird leider nicht ganz klar, sie behauptet einfach, bisher Feministin gewesen zu sein, erzählt dabei von ihren vorigen Versuchen, als Schauspielerin zu reüssieren und wie sie die Rollen, die ihr dort angeboten wurden, immer unterkomplex und uncool fand, das Wort Sexismus fällt nicht, wenn ich mich nicht falsch erinnere. Man wird über den Film den Eindruck nicht ganz los, dass es vor allem darum geht, die Konvertierung spektakulärer zu gestalten, da eine Zustimmung zu Männerrechtsaktivismus von einer Feministin vorgetragen natürlich mehr Gewicht erhält.

Zu Beginn geht es jedoch nach dem Einstieg auch vor allem darum, wie schwer es Männer heutzutage haben. Ich saß im Saal und fühlte mich verarscht. Einengende Rollenstereotypen werden schon seit Jahrzehnten gerade von feministischer Seite kritisiert. Die Männer auf der Leinwand, organisiert in ihrem Kampf gegen die feministische Weltverschwörung, beschweren sich darüber, dass sie nie ihre Gefühle zeigen dürfen, sie weinen und sie werden rasend, wenn ihnen Unrecht widerfährt. Wo genau ist da nun das Argument gegen Feminismus? Im Lauf der fast zwei Stunden wird Cassey Jaye sich immer mehr selbst in Frage stellen. Sie trifft verschiedene Vertreter_innen durchaus auch mal diverser Standpunkte, es wird jedoch selten bis nie irgendetwas ernsthaft eingeordnet, hinterfragt oder belegt. Als im Anschluss an die hässliche Geschichte einer Trennung eines Männerrechtlers von seiner Frau, die ihn seiner Erzählung nach überlistet hatte, um schwanger zu werden, eine US-Talk-Show im Stil von Jerry Springer gezeigt wird, wo die Moderatorin das Publikum fragt, ob die gerade befragte Frau ihren Mann ebenfalls hereinlegen solle, um schwanger zu werden, johlt das Publikum begeistert. Das ist also euer Argument, ja? Irgendeine gescriptete Fernsehshow, die dafür gemacht ist, aus der Vorführung ihrer Gäste Empörung und ähnliche Aufmerksamkeit zu generieren soll als Argument herhalten, wofür genau eigentlich? Alle Frauen sind perfide Lügnerinnen, wie das im Reddit-Subforum „The red pill“ die allgemeine Überzeugung ist? Naja, geht so.

Ich will jetzt nicht den ganzen Film Punkt für Punkt wiedergeben, teilweise ist man sich nicht sicher, ob man lachen oder weinen soll, so falsch werden hier Argumente aufgeführt wie z.B. ein Männer immer wieder in den Schlund der Niedertracht drückendes System. Manchmal werden auch ganz reale, tatsächliche Probleme gezeigt, aber gerade da gilt noch viel öfter: Ja, all das wird von vielen Feminist_innen seit Jahren gesagt. Und zwar handfest, mit Wissenschaft und so, nicht nur irgendwelche Verschwörungsblogs, die sich gegenseitig ihre falschen Zahlen hin- und herschieben. Aber vielleicht hilft es ja, in Kürze darauf hinzuweisen: Ja, Feminismus ist für alle gut. Nein, Feminismus heißt nicht für alle dasselbe, es gibt eine große Bandbreite von Ideen. Bildet euch, um sie kennenzulernen und dann in Zukunft wirklich differenziert argumentieren zu können. Wann immer jemand von seiner/ihrer Ablehnung des Feminismus anfängt, frage ich mittlerweile immer, wessen Ideen das genau meint. Ganz konkret, welche fünf Autor_innen, welche Strömungen, welche Argumente lehnt ihr ab? Ganz vielleicht ist es dabei sogar sinnvoll, sich mit Leuten zu befassen, die sich selbst als Feminist_innen bezeichnen und nicht primär den alle paar Wochen wieder durchs Feuilleton gejagten Leuten zuzuhören, die Feminismus erst einmal falsch verstehen oder auch falsch verstehen wollen, dann falsch darstellen und schließlich ihr Missverständnis ablehnen. Ich frage ja auch nicht Jürgen Elsässer, wenn ich eine Geschichte der jüdischen Diaspora suche, wieso also Jan Fleischhauers Dekreten bei Fragen zum Feminismus ernsthaftes Gewicht schenken?

Ja, es gibt ein großes Problem mit Rollenbildern, das gilt für Frauen wie für Männer wie auch für alle Leute, die gar keine Lust haben, das Spielchen mitzumachen. Und ja, das heißt, dass Männer sich Gedanken darüber machen müssen, denn auch Männer sind Teil dieser Welt. Und ja, oft genug ist es auch für Männer extrem scheiße, einem total verengten Bier-Fußball-Fleisch-Saufen-Autos-Ideal nachzurennen, weil sie sonst als unmännlich, als „Mädchen“ (schlecht), als schwul usw. gelten. Das ist scheiße und das muss sich ändern. Nur: Es ändert sich bereits. Und zwar, weil feministische Ideen erfolgreich sind. Es gab dieses Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der CDU eine kleine Diskussion um den Sexismus in der Partei. Das ist für diese Partei wirklich eine Sensation. Es ändert sich etwas. Feminismus wirkt. Ganz arg langsam, mit vielen Rückschlägen, aber es wird gesamtgesellschaftlich besser, sogar in der Partei, die gegen die Kriminalisierung der Vergewaltigung in der Ehe war. Die gegen die Legalisierung von Abtreibungen war, wo Männer über Frauen und ihren Körper herrschten und das als ihr natürliches Recht sahen. All diese Veränderungen würden nicht passieren, wenn sich nicht trotz aller absurden Verdrehungen eines Don Alphonso auch oft genug die Vernunft durchsetzen würde. Es wird aber sicher nicht weitergehen, wenn die Antwort auf den Abbau von Sonderrechten für Männer in Filmen wie diesem besteht. Oder in Forderungen der AfD, die in Demos wie dieser hier kulminieren. Seht es ein, ihr habt verloren, Menschen wollen sich heutzutage nicht mehr von ewiggestrigen Jammerlappen vorschreiben lassen, wie sie ihr eigenes Leben gestalten zu haben.

Hier noch Jochen Königs Perspektive auf den Abend, er hat auch noch mehr zum Film selbst geschrieben. Es überrascht nun zudem nicht sonderlich, dass ich beim Googlen zum Film auf diesen Text in empörtem Tonfall gestoßen bin, der sich im Guardian vor einem Jahr darüber beschwert, dass der Film kritisiert wird. Was für ein elendes Gejammer. Schlimm schlimm, diese Kritik, die armen Männerrechtler! Hauptquelle des Textes ist dann auch noch Breitbart, das rechtspopulistische, rassistische, homophobe, sexistische usw. Lügenportal von Stephen Bannon, frischernannter Chefstratege von Donald Trump und expliziter Anhänger der Idee von White Supremacy, der Vorherrschaft der „weißen Rasse“. Da kommt zusammen, was zusammengehört. Hat jemand Mario Barth gesagt?

2 Comments