Vernichtungswünsche in der Berliner U5

Mein Freund Farid​ hat eine von etlichen Begegnungen mit dem deutschen Rassismus aufgeschrieben. Wir hatten den Text auf facebook geteilt, aber das sollte dort nicht versinken. Denn damit endlich mal flächendeckend etwas gegen den rassistischen Normalzustand in Deutschland getan wird, muss es überhaupt ein ausreichend großes, umfassendes Bewusstsein für das Problem geben, gerade auch von Menschen, die denken, es gäbe „sowas in Deutschland nicht“. Auch Leute, die nicht täglich beleidigt und bedroht werden, müssen sich endlich damit befassen, damit die Basis für ein Zurückdrängen dieser letztlich vernichtenden Ideen möglich wird. Das tun immer noch zu wenige. Hier ist eine Möglichkeit, das zu ändern.

„Ich wollte das eigentlich nicht posten, weil ich Sachen, die mich persönlich betreffen, eigentlich keinem auf die Nase binde, ist einfach nicht so meine Art. Ich mach’s nach ca. 3 Wochen jetzt trotzdem, weil ich mir denke, dass das vielleicht dazu beiträgt, dass die Leute, auch die guten, sich weniger einreden, dass die Fälle sich nicht häufen würden und das eigentlich noch alles soweit okay ist. Ich meine das nicht, weil es mir passiert ist, sondern weil alles dafür spricht, dass es immer öfter, vor allem aber immer offener, mit mehr Selbstbewusstsein, mit weniger Gegenwehr geschieht. Ein Umstand, der was die Förderung eines gesellschaftlichen Klimas angeht, in dem dann noch ganz andere Sachen möglich sind, Anlass zu Besorgnis und Wachsamkeit geben sollte.

Vor einer Woche bin ich auf dem Weg zur Bibliothek in die U5 gestiegen, an der Station Samariterstr Richtung Alexanderplatz. Die Bahn war recht voll und es waren nur noch enge Zwischensitze in langen Sitzreihen frei und ein Sitz, der zu einer isoliert stehenden, separat runterklappbaren 2er-Sitzreihe gehört hat. In schneller Überlegung dachte ich mir, dass es platztechnisch/beinfreiheitsmäßig für alle Beteiligten das angenehmste sei, ich setze mich auch den freien Platz der runterklappbaren 2erreihe (der Sitz war auch schon unten). Auf dem anderen Sitz saß ein große, weißhaarige blauäugige Frau Ende 50 Anfang 60 mit einem offenen Buch in der Hand. Auf der entsprechenden 2er Sitzreihe gegenüber saßen 2 blonde Jungs um die 17/18, direkt neben uns standen 2 schwarze Jungs um die 17/18.

Direkt, als ich Platz genommen hatte, drehte sich die Frau mit einem eiskalten Blick zu mir um und meinte: „Es sind noch andere Plätze frei.“ Ungläubig, perplex und mit dunkler Vorahnung auf das, was gleich folgen würde, fragte ich freundlich „Wie bitte?“ Sie darauf: „Warum setzt du dich neben mich? Das ist mein Land. Ich will nicht, dass so jemand wie du neben mir sitzt.“ Leute fangen an zu gucken. Ich: „Nun, wissen Sie, mir scheint, als sei das einzig und allein Ihr Problem, und wie sie bereits treffenderweise bemerkt haben; es sind noch andere Plätze frei. Es hindert sie also niemand daran, sich umzusetzen.“ Sie: „Ja du bist n ganz Schlauer was, du armer brauner Wicht.“ Ich: „Die einzige Person ,die mir ein brauner Wicht zu sein scheint, sind Sie“ – Die beiden blonden Jungs gegenüber lachen lautstark, andere schmunzeln, einige scheinen mich für das Problem zu halten.

Einer der beiden schwarzen Jungs sagt „Lass es, das ist es nicht wert.“ Ich sage ihm, dass es das sehr wohl wert sei und dass ich mit niemandem ein Problem habe, aber anscheinend jemand mit mir. Mittlerweile blitzen ihre Augen vor Hass. Sie: „Wo kommst du kleiner Wicht überhaupt her?“ Ich: „Ich bin Deutscher, nicht dass sie das was anginge.“ Sie: „Ja ach komm, kuck dich doch ma an. Und deine Eltern?“ Ich: „Die sind ebenfalls Deutsche.“ Sie: „Ja klar, auf dem Papier du…“

An dieser Stelle fing sie an, mich in fremden Zungen zu beschimpfen, ich bin mir aber zu 90% sicher, dass es ein plattdeutscher Dialekt war (macht auch Sinn). Ich entgegnete daraufhin, dass sie schon Deutsch mit mir reden müsse, wenn sie denn wolle, dass ich sie verstehe. Daraufhin fingen ein paar mehr Leute an zu kichern, die Jungs gegenüber konnten sich kaum halten und ein, zwei schienen immer noch mich für den Störfaktor zu halten.

Die Dame war mittleiweile noch blasser geworden als sie auch an sich schon war. Sie fing wieder an mich auf Plattdeutsch zu beschimpfen und meinte dann, dass die Zeiten sich sowieso wieder zu Gunsten der wahren Deutschen ändern. Ich meinte, dass wir das ja mal abwarten können und dass, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, die Nazis diejenigen waren, die eine Niederlage erfahren haben und dass das auch wieder so kommen wird, das Deutsche wie ich dafür sorgen werden. Sie meinte, dass ihresgleichen dafür sorgen werden, dass es diesmal richtiggemacht wird, dass die Nazis niemals verschwunden sind und immer noch wichtige Positionen in allem wichtigen Ämtern hätten, womit sie recht hat.

Ich meinte daraufhin: „Ach sieh mal an, war doch nicht so schwierig, kommen Sie, nur keine Scheu lassen sie’s raus. Geil Massenmord, gell? Geil Genozid, gell?“ Sie: „Jaja du wirst schon sehen, die Öfen sind noch intakt.“ Ich: „Ah… na sehn Sie? war doch nicht so schwer! Was lesen sie da eigentlich? Mein Kampf?“ Die beiden Jungs vor mir als auch die beiden neben mir und einige andere in der Bahn konnten sich kaum halten, was jetzt nicht das Angebrachteste war, aber okay und es hat sichtlich zur Frustration der Dame beigetragen. Sie fing dann wieder an mich als kleinen braunen Mann zu bezeichnen.

Ich meinte dann: „Wissen sie, was traurig ist, wir sitzen eigentlich im selben Boot und sie hassen mich auch eigentlich gar nicht wirklich. Sie hassen was „die da oben“ mit Ihnen seit 30 Jahren machen, davon sind sie und er und er und sie (in der Bahn rumzeigend) und ich alle gleichermaßen betroffen. Von der neoliberalen Scheiße. Aber anstatt, dass sie sich gegen die Ursachen ihrer Probleme wehren, schlagen sie immer nach unten auf die, die es noch beschissener haben.“ Einer der schwarzen Jungs meinte zu mir: „Die is nich sauer auf dich Bruder, die is sauer auf Deutschland.“

Mittlerweile stierte mich die Dame sprachlos und scharf an, also krankhaft schäumend vor Wut mit einem zitternden Lächeln. Ich bin dann aufgestanden und hab demonstrativ den beiden blonden Jungs gegenüber die Hand gegeben und dann den beiden schwarzen Jungs und bei jedem Handschlag laut gesagt: „Deutscher, Deutscher, Deutscher, Deutscher.“, dann auf mich gezeigt und gesagt „Deutscher“, dann auf sie gezeigt und gesagt „Nazi, nicht Deutscher“ dann mehrmals zwischen meinem Gesicht und ihrem Gesicht abgewechselt mit den Worten „Deutscher“ – „Nazi“, „Deutscher“ – „Nazi“. Darauf wollte sie mit ihrem Arm meinen Sitz blockieren, aber mit einem beherzten Ruck hatte ich ihn wieder unten und habe mich ruhig hingesetzt.

Den Rest der Fahrt, der nicht mehr lang war, hat mich die Frau angestarrt.

Ich ließ sie vor, als wir alle am Alexanderplatz aussteigen mussten. Die beiden schwarzen Jungs gaben mir die Hand und meinten, es wäre schade, dass ich nicht zur Wahl stünde, denn ihre Stimme hätte ich. Die Frau beschimpfte die beiden beim Herausgehen laut als Affen. Worauf sie meinten „Jaja, wir sind Affen, schätzen sie sich doch glücklich, normalerweise begegnet man denen doch nur im Zoo.“

Nach geschlagenen drei Minuten durch den Alexanderplatz laufen merke ich, dass die Frau 5 Zentimeter direkt hinter mir folgte, völlig leise und geräuschlos. Ich blieb stehen und bat sie, einfach weiterzugehen, worauf sie erstmal nichts sagte und mir weiterhin folgte. Dann bat ich sie nochmal, mir nicht zu folgen, worauf sie erwiderte, dass ich mich ja auch neben sie gesetzt hätte. Das Problem war, dass ich Sorge hatte, dass diese Person durchaus fähig ist, mir ein Messer in den Rücken zu rammen. Sie war eine fitte, große Frau und wenn man bedenkt, dass ich ihr in ihrer Welt ihr Land wegnehme, die Arbeit, die Kultur, die Frauen und sowieso alles, und dass sie das Gedankengut hat, dass ich dafür auf jeden Fall auch den Tod verdient hätte… Die Sorge war nach meiner Einschätzung also nicht so weit hergeholt.

Naja, ich meinte dann dennoch „Gut, dann kommen Sie mit, ich geh in die Bibliothek.“ Ich möchte betonen, dass ich zu keinem Zeitpunkt aggressiv, beleidigend oder unbesonnen nach außen hin war. Bevor die deutlichen Aussagen fielen, sowieso nicht, aber auch danach nicht. Als ich aber drei Treppen auf einmal zu den S-Bahngleisen hoch bin, ließ sie dann von mir ab.

Das Gute an der Situation ist, dass sie mir passiert ist. Ich habe Erfahrung mit sowas und kann zum Glück trotz hohem Adrenalinspiegel, Wut, Enttäuschung, tiefer Traurigkeit, Sorge und Fassungslosigkeit extrem ruhig und besonnen nach außen hin bleiben und mein Sprachenzentrum bleibt funktionsfähig. Meine größten Bauchschmerzen und das ekelhafteste Gefühl nach dieser Aktion war, dass es tagtäglich Leute trifft, bei denen das nicht so ist. Die sich nicht so wehren können, denen vielleicht das Vokabular, die Contenance fehlt, die einfach nicht so gut Deutsch sprechen können, die eine Art Grunddemut haben und sich fälschlicherweise als Gast mit weniger Rechten sehen und das über sich ergehen lassen, und keiner hilft ihnen.

Ich bin mir auch nicht sicher, wie stark für mich Partei ergriffen worden wäre, wenn ich mich nicht selbst zur Wehr hätte setzen können. All diese armen Menschen gehen nicht gestärkt aus sowas heraus, sie fühlen sich für Wochen, Monate oder Jahre ohnmächtig, unwohl, isoliert, depressiv, ängstlich… weniger Mensch halt. Das ist, was mich so wütend macht. Und natürlich die offensichtlichen Sachen, dass sich sowas am helllichten Tage getraut wird, in Berlin, in der U-Bahn, mit Selbstbewusstsein und allem Drum und Dran. Und das nicht direkt ein solidarischer Shitstorm auf besagte Person hereinbricht. Mag daran gelegen haben, dass die, die auf meiner Seite gewesen wären, gesehen haben, dass ich das schon ganz gut unter Kontrolle habe. Sicher bin ich mir da aber nicht. Und es gab auch eine Oma, bei der ich ablesen konnte, dass sie mich als den Störfaktor sah und der Aggressorin still beipflichtete, und es gab auch sicher die, die sich gedacht haben „Junge, setz dich doch einfach weg, lass die Leute in Frieden.““

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