FICKO startet die Kampagne „Nein zum Polizeistaat“

FICKO, das Magazin für gute Sachen. Und gegen schlechte hat am 13. März die Kampagne „Nein zum Polizeisstaat“ gestartet. Wir werden die Verschärfung des Strafrechts bezüglich tätlicher Angriffe gegen Polizist*innen nicht kommentarlos hinnehmen. Als politisch engagierte Menschen verstehen wir den Gesetzesentwurf als einen Angriff auf das Versammlungs- und Demonstrationsrecht und als eine Einladung an Polizist*innen sich bei unverhältnismäßiger Polizeigewalt per konstruierter Gegenvorwürfe vor Strafverfolgung zu schützen. Mithilfe der Facebookseite „Nein zum Polizeistaat“ und der Hashtags #maaslosübertrieben und #113StGB sammeln wir relevante Beiträge zum Thema und koordinieren die Gegenöffentlichkeit zur Erzählung angeblich eskalierender Gewalt gegen Polizist*innen. Eine Petition ist schon gestartet, weitere Initiativen und Aktionen werden in den kommenden Tagen folgen und wir laden alle interessierten Gruppen ein, eigene Ideen einzubringen und in die Tat umzusetzen.

Was hat es auf sich mit der Gesetzesverschärfung? Oder „Nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Beutel“

Verkürzt lässt es sich auf die einfache Formel herunterbrechen: auf das Schubsen eine*r Polizist*in stehen künftig mindestens 3 Monate Haft. Natürlich steht im Gesetzestext konkret nichts übers Schubsen – vielmehr handelt es sich um mehrere Änderungen der §113 und §114 des Strafgesetzbuches. In §114 StGB wird ein neues Delikt mit dem Namen „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ geschaffen mit einem Strafmaß von 3 Monaten bis 5 Jahren. Dieser Paragraf soll während der gesamten Dienstzeit gelten, bisher galt §113 nur für so genannte Vollstreckungshandlungen, beispielsweise Festnahmen. Die Ausweitung wird in §115 StGB auch auf Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes übertragen. Der „Widerstands-Paragraf“ 113 StGB wird dahingehend geändert, dass der tätlichen Angriff darin gestrichen wird, denn dieser steht ja künftig in §114 unter höherer Strafe.

Außerdem liegt in Zukunft für beide Paragrafen ein besonders schwerer Fall vor, wenn „der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, auch wenn keine Verwendungsabsicht besteht.“1 und wenn es sich um mehr als ein*e Täter*in handelt. Auf den ersten Blick klingt das recht vernünftig und gar nicht so schlimm – tätliche Angriffe können immerhin zu erheblichen Verletzungen führen, oder nicht? Um zu verstehen, warum die Kritik daran eben doch sehr berechtigt ist, muss man sich in die Feinheiten des deutschen Strafrechts einlesen und sehr genau auf die verwendeten Begrifflichkeiten achten.

Die Formulierung vom tätlichen Angriff klingt zwar nach einer schweren Tat. Juristen verstehen hierunter jedoch alle gewaltsamen Handlungen, die sich gegen den Körper des Beamten richten; zu Schmerzen oder Verletzungen muss es nicht kommen. So wäre schon das Schubsen eines Polizeibeamten mit mindestens drei Monaten Gefängnis bedroht.2

führt Tobias Singelnstein, Kriminologe und Professor für Strafrecht an der FU Berlin, aus. Alle Delikte, die zu einer Verletzung führen oder versuchen, diese herbeizuführen, werden heute schon durch die Paragrafen zur Körperverletzung abgedeckt – somit gibt es laut der Fachjuristen bisher keine Strafbarkeitslücken3. Aber auch die Begründung des Gesetzesentwurfs durch Justizminister Heiko Maas bietet einige wichtige Angriffspunkte.

Maaslos mit den Zahlen jongliert

Die Zahl der tätlichen Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte steigt. Polizisten werden alltäglich brutal attackiert, ob von rechten Reichsbürgern oder linken Autonomen4

wird Heiko Maas zitiert. Fast jedes Medium, welches über die Gesetzesänderung berichtet, bezieht sich auf eine angeblich auf drastisch gestiegene Zahl von Gewalttätigkeiten gegen Polizist*innen – immer wieder liest man die Zahl „64.400 Attacken“ für das Jahr 2015, etwa 5000 mehr als zwei Jahre zuvor. Was dabei unausgesprochen bleibt, ist was in der polizeilichen Kriminalstatistik5, die als Quelle fungiert, als Gewalt klassifiziert wird. Gezählt werden alle Opfer von:

  • Mord (§ 211 StGB),
  • Totschlag (§ 212 StGB),
  • Raubdelikte (§§ 249-252, 255, 316a StGB),
  • Körperverletzungsdelikte (§ 223, 224, 226 StGB) 2 ,
  • Nötigung (§ 240 StGB),
  • Bedrohung (§ 241 StGB),
  • Widerstand gegen Polizeiliche Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB).

Von den 64.400 Opfern handelte es sich in 44.120 Fällen um Betroffene von Bedrohungen oder Widerstandshandlungen, unter die auch die von Maas zitierten tätlichen Angriffe zählen. Von Widerstand wird allerdings bereits gesprochen, wenn sich jemand beim Abführen gegen die Laufrichtung stemmt. Die Anzahl dieser Delikte steigt entgegen seiner Behauptung nicht – sie ist sogar in den letzten Jahren kontinuierlich gefallen. Was leicht angestiegen ist, sind allein die Opferzahlen, also die je Widerstandshandlung betroffenen Polizist*innen. Tatsächliche Opfer von Mord und Totschlag kommen so gut wie nie vor, im Jahr 2015 zählt die Statistik kein solches Opfer. Einen Anstieg gibt es allein bei den – schwerpunktmäßig leichten – Körperverletzungen. Der vorherrschende Täter*innentyp ist dabei männlich gelesen (87%), agiert allein und nicht in einer Gruppe (92%) und steht unter Alkoholeinfluss (57,3%).6

Das Bild, das der Justizminister als Hintergrund für seine Gesetzesänderung zu zeichnen versucht, ist also auf allen Ebenen widerlegbar – die Fallzahl der tätlichen Angriffe fällt7. Das was als „brutale Attacke“ qualifiziert werden könnte, also alle Delikte ab schwerer Körperverletzung betrifft im Schnitt 12 Polizist*innen pro Tag und ist damit bei weitem nicht so exorbitant hoch, wie uns alle glauben machen wollen. Die Brücke, die Maas zu vermeintlich politisch motiviert agierenden Personengruppen zu schlagen versucht, lässt sich auch nicht nachweisen („Reichsbürger und Autonome“ – auf diese unpassende Gegenüberstellung gehen wir hier nicht ein) – Körperverletzungen gegen Polizist*innen werden zum Großteil von alkoholisierten Einzelpersonen begangen. Seine Argumentation lässt sich also bestenfalls als polemisch, zutreffender aber wohl als zurecht gebogen und verlogen bezeichnen.

Gleichheit vor dem Gesetz? Gilt nicht mehr für die Polizei!

Schockierend stellt sich für uns auch dar, dass es scheinbar einen Konsens durch alle politischen Lager8 und auch innerhalb der Presselandschaft gibt, dass die körperliche Unversehrtheit von Polizist*innen als schützenswerter gilt, als die jeder anderen Person. Der Referentenentwurf legt genau diese Argumentation vor, dort heißt es, es

soll […] gewährleistet werden, dass der spezifische Unrechtsgehalt des Angriffs auf einen Repräsentanten der staatlichen Gewalt im Strafausspruch deutlich wird.

Dass diese künftige Privilegierung bestimmter Berufsgruppen dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes entgegensteht, daran scheint sich kaum jemand zu stören. Vollkommen unreflektiert werden die Parolen der Polizeigewerkschaften bezüglich der besonders schützenswerten Amtsträger*innen übernommen und durch mantraartige Wiederholung normalisiert. Allein kritische Jurist*innen und Wissenschaftler weisen darauf hin, dass damit die Zielsetzung der Paragrafen in den letzten Jahren umgekehrt wurde. Prägnant fasst das Bundesrichter Thomas Fischer in einer seiner Kolumnen zusammen:

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (Paragraph 113 StGB) ist ein Tatbestand, der ursprünglich den Täter privilegieren sollte, der sich einer emotional meist aufgewühlten Situation einer (meist bewaffneten und überlegenen) „Staatsmacht“ gegenüber sieht und in Erregung, Angst, Wut überreagiert. Darüber denkt heute kaum noch jemand ernsthaft nach. Die aktuelle Debatte dreht diesen Ursprung vielmehr einfach um und behauptet, Polizisten und andere Vollstreckungsorgane seien „besonders“ schutzwürdig, besondere Opfer.9

Tobias Singelnstein äußert sich ähnlich:

Bis vor ein paar Jahren galt der alte Paragraf zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte noch als besonders mild. Das war Absicht: Taten, die in der Hitze der Erregung gegenüber Polizeibeamten bei einer Vollstreckungshandlung begangen werden, sollten nicht so scharf beurteilt werden wie sonstige Nötigungshandlungen. So wollte der Gesetzgeber der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der sich Bürger befinden, die gut ausgerüsteten Vertretern der Staatsgewalt mit besonderen Befugnissen gegenüberstehen. Dieses Verständnis verkehrt der Gesetzgeber mit dem geplanten Paragrafen 114 des Strafgesetzbuchs in sein Gegenteil. An die Stelle der bisherigen Privilegierung der Bürger setzt er einen besonderen strafrechtlichen Schutz der Polizei – ein Privileg der Exekutive, das man sonst eher in autoritären Staaten findet.10

Eben diese Einschätzung teilen wir und wollen unsere Position durch den vermeintlich übertrieben klingenden Namen „Nein zum Polizeistaat“ verdeutlichen.

Polizeiwillkür – Na und?

Warum unser Widerstand gegen die Gesetzesverschärfung aber von vielen außerparlamentarisch politisch interessierten und aktiven Menschen sofort verstanden und geteilt wird, hat noch einen weiteren Grund. Es gibt sehr viele Dinge in unserer Gesellschaft, für die es sich lohnt auf die Straße zu gehen. Glücklicherweise gibt es auch Menschen, die das tatsächlich tun. Aber sobald man das tut, muss man sich bewusst sein, dass Polizeikontakt nahezu unumgänglich ist und so wirklich Lust hat darauf kaum jemand.

Denn schnell muss man lernen, dass man auf richtig üble Leute treffen kann, die diesen Beruf gewählt haben, weil sie dort prügeln dürfen. Oder die auf linke Demonstrant*innen besonders gern draufhauen, weil sie eher eine andere Gesinnung haben. Oder die wahllos Leute kesseln oder festnehmen, einfach nur weil sie sie in die Finger kriegen. Oder an welche, die nicht mal selbst wissen, welche Gesetze und Vorschriften für sie gelten und dass sie als Polizist*innen eben nicht alles dürfen. Oder an solche, die das zwar wissen, aber es trotzdem nicht einhalten, weil sie es sich leisten können, dass ein Einsatz oder eine Handlung hinterher für rechtswidrig erklärt wird – für sie hat das keine Konsequenzen. Ebensowenig wie Anzeigen gegen Polizeibeamt*innen – regelmäßig ist solche eine Anzeige ein Eigentor wie Jura-Professor Clemens Arzt ausführt:

Wenn Sie als Bürgerin und Bürger der Auffassung sind, die Polizei sei übergriffig geworden, und zeigen Polizeibeamte an, können Sie so sicher wie das Amen in der Kirche auch davon ausgehen, dass Sie am nächsten Tag wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt angezeigt werden. Das ist eine absolut selbst indizierte und selbst induzierte Zahl der Polizei, die Polizei alleine hat es in der Hand zu dokumentieren, wie viel Widerstandshandlung es gegen Polizeibeamte aus ihrer eigenen Sicht gibt. Ein objektiver Indikator ist das nicht.11

Und künftig haben sie mit dem neuen Paragrafen §114 StGB mit der #maaslosübertriebenen Mindeststrafe ein noch stärkeres Druckmittel, um unliebsame Gegenanzeigen zu verhindern und zudem die symbolisch-moralische Stärkung, dass ihre Unversehrtheit mehr wert ist als die eines jede*n Andere*n. Dass es sich bei dem eben beschriebenen nicht um gefühlte Wahrheiten handelt, hat die Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte von Amnesty International in ihrem Statement zur Gesetzesverschärfung kommentiert und verweist auf eine sehr umfassende Studie zum Thema Polizeigewalt des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv.12 Allerdings scheint das Thema Polizeiwillkür und -gewalt keine moralisch aufgeladene Debatte wert, ernsthafte Bestrebungen den Forderungen des Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen nachzukommen und unabhängige Behörden zur Strafverfolgung von Polizisten zu installieren, werden auch nicht diskutiert.

Nur nicht den Kopf in den Sand stecken

Unsere Kritik ist klar: Es erwartet uns ein überzogenes und nutzloses Strafgesetz, das Bagatelldelikte kriminalisiert, Amtsträger*innen gegenüber allen anderen Menschen privilegiert und einen heute schon unzureichenden Schutz gegen Polizeigewalt weiter verringert.

Ebenso klar ist unser Ziel: Wir können und wollen diesen Schritt in Richtung eines autoritären Staats nicht unwidersprochen lassen. Es ist uns wichtig, offenzulegen in welcher Art und Weise Zahlen verbogen und der Diskurs polemisiert werden, um ein nutzloses Gesetz durchzuboxen. Wir sind empört über die in großen Teilen tendenziöse Berichterstattung und die fehlende Reflexion im linken Parteienspektrum. Wir sehen sowohl journalistische Sorgfaltspflichten als auch die notwendige parlamentarische Debattenkultur verletzt.

Dieses Vakuum wollen wir füllen, indem wir die Gegenargumente bündeln und eine breite Öffentlichkeit aufbauen, die nicht unreflektiert dem vorgegebenen Diskurs folgt. Wir fordern alle interessierten Menschen und Gruppen auf mit uns in Kontakt zu treten, sich zu vernetzen und eigene Ideen und Aktionen zu entwickeln, wie wir unseren Protest kundtun können. Unser Ziel ist es dieses Gesetz zu stoppen oder wenn das jetzt zu spät sein sollte, dann wollen wir es im Nachhinein kippen. Das schaffen wir aber nicht allein. Gutmenschen, wir zählen auf eure Unterstützung!

Wir haben eine Petition gestartet. Unterzeichnet sie hier: https://weact.campact.de/petitions/nein-zum-polizeistaat-stoppt-die-anderungen-der-ss113-und-ss114stgb-2

Und macht mit bei unserem Malwettberb und gewinnt den goldenen Schlagstock. Hier geht‘s zum Wettbewerb: https://www.facebook.com/keinpolizeistaat/photos/pb.1247096445389566.-2207520000.1489824089./1250976218334922/?type=3&theater

Die Wichtigsten Quellen sind direkt im Text verlinkt und zusätzlich hier als Fußnoten aufgeführt:

1http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/widerstand-gegen-vollstreckungsbeamte-stgb-verschaerfung-polizisten-angriffe/

2http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/aussenansicht-respekt-entsteht-nicht-durch-drohungen-1.3360909

3Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Strafrechtsexperte an der Universität Regensburg sagt dazu: „Tätlicher Angriff“ hört sich zwar schlimm an, fällt aber meist mit einer (bereits strafbaren) versuchten oder vollendeten Körperverletzung zusammen. Soweit er eigenständige Bedeutung hat, ist diese unterhalb der versuchten Körperverletzung anzusiedeln, nämlich dann, wenn der Täter eine Verletzung nicht intendiert hat. Der tätliche Angriff, bei dem nicht einmal eine Körperverletzung beabsichtigt ist, gilt im Allgemeinen zu Recht als nicht strafwürdig.“ Quelle: https://community.beck.de/2017/02/20/zum-geplanten-ss-114-stgb-taetlicher-angriff-auf-vollstreckungsbeamte

4http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/heiko-maas-justizminister-gewalt-polizei-bestrafung

5https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2016/pks-2015.pdf?__blob=publicationFile

6Ebd.

7Siehe dazu auch: https://community.beck.de/2017/02/20/zum-geplanten-ss-114-stgb-taetlicher-angriff-auf-vollstreckungsbeamte

8Beispielhaft nachzulesen hier: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/03/landesregierung-brandenburg-stimmt-fuer-haertere-Strafen-bei-gewalt-gegen-polizisten.html

9http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-02/polizei-wir-pruegelknaben-fischer-im-recht

10http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/aussenansicht-respekt-entsteht-nicht-durch-drohungen-1.3360909

11http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/gewalt-gegen-polizisten-102.html

12https://correctiv.org/blog/2015/08/20/polizei-ohne-kontrolle/

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