An der Wand neben meiner Tür hängt ein Zitat von Peter Ustinov: „Um sanft, tolerant, weise und vernünftig zu sein, muss man über eine gehörige Portion Härte verfügen.“ So langsam finde ich das nicht nur völlig richtig, sondern verstehe auch in seiner Gänze, warum ich das tue. Gestern Nacht noch hat Mekonnen Mesghena auf seinem Privatprofil bei Facebook die Nachricht geteilt, dass Napuli Paul Langa, eine Flüchtlingsaktivistin in Berlin, am Freitag, den 17.1. übelster rassistischer Polizeigewalt ausgesetzt wurde.
„Ich musste noch mal aus der Zelle. Endlich sprach man Englisch. Ich rief: »Kein Mensch ist illegal«. Da wurde mir der Mund zugehalten. Ein Polizist zog mir einen roten Mülleimer über den Kopf, was richtig wehtat. Ich bekam Angst, begann zu beten. Ein Beamter sagte: »Ich bin nicht Gott. Ich bin der Gott der Fingerabdrücke, Affe!« Ich aus dem Dunkeln des Eimers: »Danke, bin ich also dein Affe. Gott segne Dich!«. Worauf ich hören musste: »Oh ja, I fuck your ass! That’s what we do in Germany!«“
Mehr Infos hier. Ich habe allen Grund, anzunehmen, dass es ziemlich exakt so passiert ist. Und werde rasend vor Wut. Und sage im engsten Freundeskreis oder nur in mich hinein, dass ich das nächste Arschloch, das mir über den Weg läuft und ins Gesicht spuckt, in die Bedeutungslosigkeit zurückstopfen möchte, aus dem es kam. Natürlich möchte ich das nicht. Ich möchte, dass das aufhört. Ich möchte nicht so wütend sein, es ist kein schönes Gefühl. Ich möchte einfach nur leben und ich will, dass alle einfach nur verfickt nochmal würdevoll leben können. Aber ich brauche einen Raum für die Wut, um nicht verrückt zu werden.
Ich darf nur nicht vergessen, dass ich den Raum für die Wut nur brauche, damit ich mich dann möglichst schnell wieder meinem Hauptziel, der Gutmenschlichkeit widmen kann. Eine pragmatische Energieeffizienz in hoher Drehzahl. Kurz die Axt auspacken und im Wald randalieren, dann ist auch wieder gut.
Denn ich brauche die Fähigkeit, mich zu schützen. Dieser Kern, der einfach nur zu allen korrekt sein will und das Gutmenschlichkeit nennt, obwohl man es auch „gesunder Menschenverstand“, „politisch bewusst und vernünftig“, „ein Herz haben“ oder sonstwie nennen kann, der ist extrem verletztlich. Ich hatte bisher über 12 Hörstürze, irgendwann habe ich aufgehört, zu zählen. Magenschleimhautentzündung, Nervenzusammenbruch, Geräuschempfindlichkeit und dann noch der fast noch schlimmere Kampf um Anerkennung und Akzeptanz meiner Art als „Sensibelchen“. Und ich weiß, dass das daran liegt, dass ich die ganze Scheiße, die es in der Welt gibt, zu nah an mich heranlasse.
Es geht aber gar nicht anders und ich möchte um nichts in der Welt so entfremdet von mir selbst werden, wie es leider viele Menschen sind. Ich sehe meine Emotionen prinzipiell als positiv an und versuche mich nach Kräften ernst zu nehmen. Ja, es ist anstrengend, wenn einen das alles immer so mitnimmt. Aber wenn man sich mitnehmen lässt, kommt man an Orte, von deren Existenz man gar nicht wusste. Und da sind auch unglaublich wunderschöne Orte darunter. Und wunderschöne Menschen, die einen dorthin mitnehmen. Ich bin nicht traurig darüber, sondern froh, dass ich es kann. Dass ich nicht innerlich zu tot dafür bin. Ich habe 100 Mal mehr davon profitiert, es zuzulassen als es Energie und Tränen gekostet hat.
Ich habe aber auch gelernt bzw. bin dabei, es zu lernen, auch wieder Abstand zu gewinnen. Und es ist ein Gewinn. Für alle. Denn ein Wrack kann kaum eine Arche werden. Und verbitterte Leute nerven und kommen somit auch schwer aus der Verbitterung heraus. Wer möchte ihnen schon die Hand reichen, wenn „sowieso alles egal ist“? Und wie soll ich andere begeistern, es mir nachzutun, wenn sie sehen, dass es dazu führt, dass ich ein völlig kaputter Mensch werde? Also: Besser nicht kaputtgehen.
Den Abstand bekommt man, wenn man zurückschlägt oder die Scheiße mit aller Kraft und am besten in Ketten zurückdrängt. Dazu braucht es Kraft. Die gibt es auch bei Verbündeten, aber zuerst muss sie in mir sein. Nein, stimmt nicht. Auch bei mir kam die Kraft aus anderen. Aus Annetta Kahane, die beiläufig erzählte, wie sie bei der Gedenkfeier für die Opfer des NSU weinte. Und ich war beeindruckt von ihrer Offenheit und es kommt mir gerade absurd vor, weil ich mittlerweile auch öffentlich weinen kann. Aus Julia Seeliger, die mich auch „als Mann“ ernst genug nimmt und mich in ihre Feminismus-Überlegungen einbezieht und ermuntert, Emotionen als etwas wichtiges zu sehen. Aus Nadia Shehadeh, die mir gezeigt hat, dass man die Widersprüche nicht verdecken muss. Man darf auch mal nicht 100% geben, sondern Beverly Hills schauen und drauf scheißen. Aus Kurt Tucholsky kommt das Vorbild, immer immer noch Humor zu haben. Weil das Haltung bezeugt. Und nie vergessen, zu lieben. Aus Boots Riley die Idee, dass ein Revolutionär nicht will, dass alle sagen „Wow, so ein krasser Typ“. Sondern „Geil, das will ich auch. Und ich kann es auch!“ Von meiner Mutter kam viel, von meinem Vater kam viel. Es gibt so viele Leute und Internet und Beats, die es mir ermöglicht haben, überhaupt die Kraft zu entwickeln, einen Umgang mit der Scheiße zu finden, der mich nicht auffrisst. Und ich versuche mein Bestes, es niemals zu vergessen und die Kraft weiterzugeben. Und ich spüre großen Stolz, wenn ich einmal sehe, dass es funktioniert. Ich weiß, dass ich es auch selbst woanders herhatte.
Ich muss auf die Scheiße draufhauen, sonst geht sie nicht, sie lauert immer vor der Tür, kommt auch oft genug uneingeladen herein. Ich muss sie anschreien, ich muss ein Rückgrat entwickeln und ihr in die Augen blicken. Ihr sagen, dass sie besser schleunigst verschwindet, weil es sonst aufs Maul gibt. Und das nicht nur sagen, sondern auch mal Taten folgen lassen. Und wisst ihr was? Es wirkt. Es ist niemals perfekt, aber nachdem ich die Scheiße ein paar Mal verprügelt hatte, kam sie nicht mehr jeden Tag, sondern nur noch jeden zweiten. Und dass das gar nichts ist, können nur die zynischen Höhlenmenschen behaupten, die keine Fallhöhe haben. Denen es egal sein kann, weil es sie ja nicht betrifft und die im Zweifel viel zu oft doch nur irgendwelche internen Konflikte mit einem großen politischen Weltgestus übermalen wollen, damit sie es auch in den Inner Circle schaffen, wo mit Retweets bezahlt wird.
Ohje, ohje, mein Text wird immer länger, ich kam noch gar nicht zu meinem Punkt, haha.
Die Arroganz, die es braucht, der Schutz, der Panzer, den es braucht, weil siehe oben: Das habe ich mir hart erabeitet. Die Battlerap-Attitüde für politischen Aktivismus urbar machen, das hat mir extrem viel gebracht. Ich habe einen Knopf gefunden, mit dem ich relativ bewusst die Arroganz einschalten kann. Noch viel wichtiger ist aber, dass man dann auch einen Ausknopf findet. Genauso wie es wichtig ist, nicht nur auf Reisen gehen, sondern dann auch wieder heimkommen zu können. Ja, zuerst muss der Wunsch da sein, in die Welt zu gehen, sich das alles anzuschauen. Und je nach Bedarf braucht es dafür mitunter große Härte. Aber ich muss auch heimkommen können. Und dafür heimkommen wollen. Und dafür überhaupt ein Heim haben. Um dann den Panzer abzulegen. Denn in so einem Panzer lässt sich schlecht kuscheln, der ist zum Krieg führen gedacht und dementsprechend designt.
Kuscheln ist aber super, ich will viel lieber kuscheln. Und ich bin fest überzeugt, dass spätestens tief drin auch all die lieber kuscheln wollen, die sich arrogant und hart geben. Ich weiß ja, dass es die Härte braucht. Es braucht aber eine noch viel größere Kraft, nicht hart zu bleiben. Das ist keine Schwäche, das ist wahre Größe. Und wer das nicht versteht, ist aufs Schärfste zu bemitleiden.
Ich habe größten Respekt vor allen, die das schaffen. Tahir Della, der zum hundertsten Mal ruhig bleibt, weil er im Kern über eine „gehörige Portion Härte“ verfügt:
Antje Schrupp, die so ein herausragend transparentes, gutes, tolles Kommentarmanagement betreibt, dass das von ganz allein dazu führt, dass ich sie mir als Beispiel nehme.
All die Leute, die so viel Würde ausstrahlen, weil sie sich nicht von den Schlechtmenschen kaputtmachen lassen, sondern beharrlich bleiben, auf ihr Recht pochen und die universellen Wahrheiten nicht antasten lassen, verdienen den größten Respekt. Und eine der universellsten Wahrheiten ist halt nun mal: Lieber Gutmensch als Arschloch.
Und ja, man kann auch mal einen Witz machen und darf nicht nur Mauern bauen. Ich mache sogar ständig haufenweise Blödsinn, sonst würde ich binnen Minuten verrückt ob dieser Welt. Wer sich zu sehr einbaut, kriegt halt auch einfach nicht mehr so viel mit. Und verpasst vielleicht total tolle Menschen, die vor der Mauer standen, aber keine Tür fanden. Internet ist besser als Intranet.
„Wir“ nicht als kollektivistischer Faschismus (was mir meine linksradikalen oder ideologiekritischen Freunde [nie Freundinnen] dann des öfteren vorwerfen, siehe „Deutschland„), sondern als Raum, den wir uns einfach nehmen. In dem es ein „Wir“ gibt, aus dem die Arschlöcher aber freundlich und bestimmt herausgeworfen werden, bis sie es gelernt haben. Der türkische Dichter Nâzım Hikmet hat dieses Wir so schön beschrieben in seinem Gedicht „Davet“ (Einladung):
Yaşamak bir ağaç gibi
tek ve hür ve bir orman gibi
kardeşçesine,
bu hasret bizim.
Übersetzung:
Leben einzeln und frei
wie ein Baum und dabei
brüderlich wie ein Wald,
diese Sehnsucht ist unser.
Mich hat das Gedicht damals sehr beeindruckt. Es hat endlich Worte gefunden für mein diffuses Gefühl des Leidens an der Einsamkeit meiner Kämpfe. Wir brauchen auch ein „Wir“. Wenn nur die Falschen ein Wir haben, wir aber alle vereinzelt vor uns hinleiden, wie soll sich da etwas ändern? Daher versuche ich, dieses Wir zu ermöglichen. Und den ewigen Seiltanz zu vollführen zwischen ausreichender Schlagkraft, Offenheit und Verletzlichkeit, Arroganz und offenem Visier. Es ist nicht leicht, aber man kann es lernen. Auch wenn dann natürlich immer entweder die Verpanzerten draufschlagen, weil es ja lächerlich ist oder weil ich auch ständig Fehler mache. Oder diejenigen, die noch nie mehr als ihre schöne Heimeligkeit von der Welt gesehen haben, es total pathetisch und übertrieben finden. Oder diejenigen, die sich zu fein fürs Getümmel sind, meine Aggressionen gar nicht nachvollziehen können. Weil sie auch nicht in die Verlegenheit kommen, damit bedroht zu werden, dass man sie absticht.
Wäre aber so ganz prinzipiell total schlau, wenn wir nicht zuvorderst nach innen, sondern nach außen wirken. Denn ohne Massentauglichkeit wird es nicht funktionieren. Denn wir wollen doch, dass es allen möglich ist, in der Welt klarzukommen und nicht nur den Privilegierten, die es sich leisten können, viele Stunden am Tag über Ismen nachzudenken. Ich verstehe, dass ich auch nicht so weit bin, überall recht zu haben, das wird niemals so sein. Aber ich möchte denen die Hand reichen, die auch weiterkommen wollen. Die vielleicht das mit der Arroganz noch nicht können. Gleichzeitig möchte ich auch nicht von jenen verdroschen werden, die sehen, dass ich noch nicht so weit bin. Dass ich noch nicht alles so gut verstanden habe wie sie. Denn garantiert gibt es auch in ihrem Kopf einige Felder, auf denen ich mehr Ahnung habe. Und dafür möchten sie auch nicht nur verprügelt werden, sondern wünschen sich, dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, nachzudenken und am besten etwas besser machen zu können. Das Leben ist nicht eindimensional, also sollte auch eine Handlung, die auf eine Verbesserung der Welt (nicht übertrieben, jedes Lächeln ist schon eine Verbesserung der Welt) hinwirken möchte, nicht nur eindimensional sein und immer nur auf einem Problemfeld getan werden. Denn in echt hängt ja auch ziemlich viel zusammen. Und wenn wir in echt etwas auswirken wollen, müssen wir auch in echt denken und nicht in unecht. Und in echt gibt es eben nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus und Kapitalismus und Ichmussismus und Dudarfstnichtismus und „und“ und „oder“ und „aber“. Ein Wir haben, also in echt ein Wir denken und in echt aus diesem Denken Taten folgen lassen. Ich glaube, dafür gibt es das Wort Intersektionalität. Schlagt mich bitte nicht, wenn ich es falsch verwende.
Dieser letzte Abschnitt klingt irgendwie viel trauriger, als ich ihn meine. Ich bin nämlich 1. überzeugt, dass wir gewinnen werden. Und 2., dass auch tatsächlich schon etwas erreicht wurde. Und 3., dass dieses Etwas immer noch viel zu wenig ist, also belehrt mich bitte nicht, wie scheiße es immer noch ist. ICH. WEISS. DAS. Aber: Dass sich eine Angela Merkel einen Satz erlauben würde, wie ihn Helmut Kohl bei den Pogromen und massenhaften Nazizusammenrottungen Anfang der 90er losließ: Für Beileidstourismus sei er nicht zu haben. Das kann ich mir nicht so ganz vorstellen. Dass es nicht mehr so ist wie noch vor wenigen Jahrzehnten, als Homosexualität als Krankheit definiert wurde, als Männer in Deutschland ihren Ehefrauen das Arbeiten verbieten konnten, das ist de facto ein Fortschritt. Ein grotesker, aber ein Fortschritt. Als es fast überhaupt keine Frauen, keine Menschen mit Migrationshintergrund, keine Menschen mit Behinderung im Fernsehen gab, die individuelle Personen sein konnten. Das ist anders und ich weigere mich, in das Gejammer mancher Theoretiker_innen zu verfallen, dass alles gescheitert sei. Ok, dann freut euch halt nicht an großartigen Filmen, der Emanzipation vieler Millionen Menschen durch das Internet, der endlich beginnenden Diskussion um Polizeigewalt, der Erfolge im Kampf der LGBT-Bewegungen usw.. Aber lasst uns Gutmenschen in Ruhe, die sehen, dass es etwas bringt, etwas zu tun.
Denn das tut es. Und es tut gut. Und das ist ok. Es muss guttun, wer würde es sonst machen wollen?
Hani şimdi biz..
İnanın:
güzel günler göreceğiz çocuklar
güneşli günler
göre-
-ceğiz.
Motorları maviliklere süreceğiz çocuklar,
ışıklı maviliklere
süre-
-ceğiz…..
Dieser Text erschien zuerst auf fifaform.de.