[Inhaltshinweis: Depressionen, Suizid]
Scheiße. Ein Freund eines engen Freundes hat sich umgebracht. Als ich davon erfahre, ist es noch nicht lange her, ein paar Tage. Mein Freund sagt am Telefon, dass er das noch gar nicht richtig fassen kann. Er und der Freund, der nicht mehr da ist, haben sich nicht so oft gesehen, seit sie nicht mehr in der gleichen Stadt wohnen, im Alltag gibt es jetzt also nicht direkt eine Leerstelle.
Ich kannte den gar nicht wirklich. Wir haben mal zusammen Bier getrunken, waren gemeinsam auf einer Party und beim Fußball. Alles nicht so Sachen, wo man ständig deepe Gespräche führt. Von meinem Freund habe ich ab und zu mal gehört, was sein Kumpel gerade wieder für einen Spruch gebracht oder welche Aktion er gerissen hatte. Dann habe ich gelacht. Ich hab den gemocht. Oberflächlich halt. Manchmal habe ich bei Instagram ein Foto von ihm kommentiert, manchmal hat er darauf geantwortet. Völlig banal. Völlig unwichtig. Muss trotzdem irgendwie dran denken.
Ja scheiße. Ich will eigentlich meinen Gefühlen gar nicht so viel Raum geben, denk ich, denn das erscheint mir unangemessen, weil der mir ja gar nicht nahestand und ich mir jetzt vorkomme, wie eine, die den Suizid eines fast fremden Menschen nutzt, um dann nur über sich zu reden. Ich versuche, als ich mit meinem Freund rede, in erster Linie zuzuhören.
Als ich alleine bin, muss ich direkt heulen. Ich hab meine Gefühle im Bauch. Es sind gerade voll viele darin. Ich habe gelernt, dass Gefühle halt einfach so kommen, machste nix, und dass ich sie nicht bewerten soll. Alles klar. Ich mach ja Therapie. Kapiert. Auch kapiert hab ich: Ich soll Gefühle auseinanderklamüsern. Also.
Der Klassiker in der Situation: Trauer.
Ich bin traurig. Irgendwie so, ist ja wer gestorben, auch wenn ich ihn nicht kannte, bisschen traurig ist es. Noch trauriger macht mich, dass mein Freund einen Verlust erlitten hat. Und dazu Traurigkeiten, die viel größer sind. Ich rase sofort in meinen eigenen Terror hinein: Ich bin traurig, weil ich genau weiß, wie die ganze Kacke sich anfühlt, weil ich mich da problemlos hineinversetzen kann. Es ist allein schon traurig, solche Gefühle zu kennen. Ohne dass ich irgendwas dagegen machen könnte, kommt auch ein bisschen der Traurigkeit auf, die ich selber in solchen Momenten gespürt habe. Das Denken an diese Traurigkeit in diesen dreckigen Momenten, die Tatsache, dass es eine solche Traurigkeit überhaupt gibt und dass sie so fucking riesengroß ist, macht mich – richtig – noch trauriger. Und dann noch das große Ganze: Wie viele Menschen kennen auch diese verdammte Traurigkeit? Wie viele gehen daran kaputt?
Weitere Gefühle:
Verbundenheit. So ein komisches „er und ich“-Ding. Letzten Endes verstehen wir Kloppos uns ja doch nur untereinander. Jetzt, wo ich weiß, was mit ihm los war, fühle ich mich ihm näher, obwohl ich genau weiß, dass das kompletter Bullshit ist. Aber fühlt sich halt so an…und ich soll es ja nicht bewerten.
Angst. Was, wenn ich nicht mitkriege, dass jemand in meinem Umfeld den gleichen Kram durchmacht und sich irgendwann umbringt? Sofort stelle ich mir vor, wie sich das dann anfühlen würde oder eher, wie ich mir vorstelle, wie es sich anfühlen würde. Auf jeden Fall richtig beschissen. Irgendwas mit Schuld vielleicht auch. Und wie ich auf Schuld komme, denk ich doch tatsächlich automatisch, dass ich ja auch mal was Wertschätzenderes unter seine Instagram-Fotos hätte schreiben können. Manche Gedanken kommen auch einfach so. Bullshit.
Hilflosigkeit. Ich kann meinen Freund nicht trösten. Ich möchte so gern, aber es geht nicht. Es gibt keinen Trost. Keine hilfreichen Gedanken. Und nein, die Zeit heilt keine Wunden. Eventuell reißt sie sogar noch mehr auf. Hab irgendwo gelesen, dass die Wahrscheinlichkeit, depressiv oder gar suizidal zu werden, extrem ansteigt, wenn du jemanden kennst, der sich umgebracht hat. Womit wir dann auch wieder bei der Angst wären.
Ein bisschen: Verzweiflung. Weil es mir zeigt, wie dreckskackbeschissen diese ganze abgefuckte Depressionsrotze ist. Wenn ich gerade mal nicht drin häng, weiß ich irgendwie, das kommt wieder. Bei mir ist das so. Hab ich kapiert. Auch wenn ich nörgelnde Aggro-Patientin die Metapher des „Gefühle wie Wellen reiten“ immer voll bescheuert fand (und ich natürlich super genervt in der Gruppentherapie darüber lamentieren musste, dass dieses Bild schief ist, weil Surfer ja große Wellen total geil finden…) benutze ich die jetzt selber.
Hab gerade eine Phase mit Monsterwellen hinter mir. Hab sie in größter Profi-Surferinnen-Manier geritten. War richtig scheiße. So ne knappe Woche ging überhaupt gar nix mehr. Im Bett leben. Das Laken voll mit Krümeln und Asche und abgekratzter Haut. Aber. Hab ja gecheckt: ist Surf-Urlaub! Letzten Endes heißt das irgendwie nur: den Scheiß aushalten und dran denken, dass es wieder vorbeigeht. Bewusst Gefühle und Gedanken unterscheiden. Ganz genau aufpassen, mit sich selbst einen Dialog führen. Während der Horror-Holidays keine wichtigen Entscheidungen treffen und bei sozialen Interaktionen immer im Hinterkopf behalten: fühlt sich nur so an, als würden die anderen Menschen dich gerade permanent mit Kot oder Dartpfeilen bewerfen. Ist aber nicht so. Ist ein Symptom. Genauso wie das Gefühl, dass diese Gefühle, die jetzt gerade da sind, immer schon da waren und dass es andere gar nicht gab und nie wieder geben wird.
Es ist voll tricky, den ganzen Gefühlsmüll, den so eine Monsterwelle mit sich bringt, immer wieder zu erkennen als Teil einer Krankheit, die man nun mal hat. Die Gefühle pochen mit ihren enormen Ausmaßen ja darauf, dass sie die Realität sind: Hallo, die Welle ist doch wohl auch voll riesig? Jo. Aber du bist eigentlich gar nicht am Surfen. Ist ne Metapher, du Otto. Und die Gefühle gehören zur Depression. Is so. Kennste, hältste aus, geht vorbei. Alte Therapeut*innen-Weisheit: Kein Gefühl dauert ewig.
Den Kram hab ich trainiert, Surf-Kurse, Surf-Camps, immer wieder. Fakt ist aber: Das Einordnen der Gefühle ist erstens super anstrengend (du fühlst dich mit Kot beworfen, das ist schlimm, du musst dir sagen, ne, hat ja niemand, das fühlt sich nur so an, du bist gerade wieder vor der portugiesischen Küste unterwegs, sei nicht verletzt, auch wenn die Scheiße an dir runtertropft) und zweitens gehen die Gefühle vom Einordnen ja nicht weg – sie ficken dich trotzdem und du surfst und surfst und alles tut weh.
Das lässt mich echt verzweifeln. Ich rechne damit, immer und immer wieder diese ganzen abgefuckten und schmerzenden Gefühle aushalten zu müssen. Ich hasse Surfen und komm trotzdem nicht drum herum.
Und das führt mich zu einem ziemlich starken Gefühl und ich finde es scheiße, dass ich es habe:
Neid. Der hat es hinter sich. Nie wieder raus aufs Meer.
Es gibt ein paar Gefühle, die ich jetzt gut finde, zu haben:
Dankbarkeit und Liebe für die treuen Leute, die mich besuchen, wenn ich in der voll geaschten Betthöhle stinkend vor mich hinvegetiere und vom Surfen labere. Das bedeutet mir mega viel.
Wut. Auf die dreckige Welt auf der und das beschissene System in dem wir leben (jawohl) – da kann man ja nur krank werden.
Und: Ich fühl mich herausgefordert, den Mund aufzumachen. Ich muss dringend allen sagen, dass Depressionen einfach die perfideste Drecksscheiße unter der Sonne sind und dass wir alle alle viel mehr darüber reden müssen. Dass niemand Schuld hat (und Schuld eh ne völlig schwachsinnige Kategorie ist) und niemand Verantwortung für die Gefühle anderer übernehmen soll. Dass es ein Krisentelefon gibt (schöne Grüße) und einen sozialpsychiatrischen Dienst. Dass Psychotherapie voll anstrengend ist, aber eine*n doch irgendwie weiterbringen kann. Dass wir alle noch besser Acht geben müssen aufeinander.
Und dass niemand allein ist damit. Gibt voll viele, die ab und an mal ihr Surfboard rausholen. Vielleicht kann man sich da ja mehr austauschen und supporten. Ist kein einfacher Sport und man kann dabei verlieren.
Sascha
Danke dir, Anna! Danke dass du hier so offen darüber sprichst, wie es dir geht. Danke dass du die Menschen sensibler machst und Bewusstsein für dieses harte Thema schaffst. Danke dass du uns an deinem Leben und deinem Denken teilhaben lässt. Es tut weh und es macht mich traurig, in deinem Text zu lesen, dass es dir schlecht geht. Ich möchte dich gerne umarmen, weil das macht man so, um einen Menschen, dem es schlecht geht, zu trösten. Und ich wünsche dir, dass es dir bald wieder gut geht. Ich wünsche dir, dass deine Freund*innen dich oft besuchen und dich aufbauen. Ich wünsche dir und mir und uns allen, dass diese Welt sich verändert, denn ich muss dir eines sagen: auch mich macht dieses Scheiss-System krank. Wir teilen hier etwas. Nur ich denke, es ist machbar und es liegt an uns, diese Welt gemeinsam in einer Weise zu gestalten, dass sie zu einem Ort wird, an dem es uns allen gut geht. Einem Ort, wo wir – um dich zu zitieren – alle besser auf einander acht geben und niemand mit den eigenen Problemen allein ist. Ein Ort, von dem Marie Curry von Neonschwarz im Lied „Metropolis“ singt: „Denn wirklich nur wie es den Menschen hier geht, hat allerallererste Priorität.“