Da geht was in Mainz



In Mainz brennt die Hütte. Und es geht was. Weil FICKO gerade renoviert wird und ich diesen Text in Open Office schreibe und obendrein seit Tagen im Verzug bin, gibt es nicht für alle Baustellen und Hüttenbrände eigene Artikel, sondern eben einen großen Aufwasch für alles. Irgendwann im Winter erzählte mir Sebastian vom Atelier Zukunft von einem leerstehenden Gebäude hinter dem äußerst mies bezahlenden Cinestar, der Neutorschule.


Die sei möglicherweise sehr gut geeignet, um mal auch in Mainz, immerhin eine Landeshauptstadt und zweitjüngste Stadt Deutschlands etwas aufzubauen, was nicht nur reichen Leuten zugute kommt und mal einen wirklich gewichtigen Grund liefert, hier nicht nach der Beendigung des Studiums weg zu wollen. Ein künstlerisches, soziokulturelles, politisches Zentrum, einen Knotenpunkt. Räume für Leute, denen sonst die Luft zum Atmen fehlt, ein Ort, den wir Kunst-, Kultur-, Politik- und Lebenswertschaffenden und sonstwie Aktiven selbst organisieren.

Denn ganz ehrlich: Mainz ist nicht „cool“. Hier zieht man in der Regel nach dem Studium weg, weil einfach nichts geht. Weil die bräsige bis rassistische (Was zur Hölle!? Lasst uns das mal irgendwie demnächst angehen) Mainzer Stadtkultur kaum Platz zum Leben lässt. So, Leute: Ruhe bitte! Dafür, dass jede fünfte Einwohnerin StudentIn ist und mit 40.000 davon doch eine ganze Menge in Mainz leben, ist erschreckend wenig los. Es gibt kaum Konzerte, fast keinen Raum für zeitgenössische Kunst (Artikel zur Podiumsdiskussion von „Situation Mainz“ im Januar, Bericht im Sensor-Magazin), fast keine Räume für nichtkommerzielle Dinge, so gut wie keine öffentlichen, wirklich guten Partys und gefühlt alle fünf Tage wird schon wieder entweder von der Stadt irgendein Platz als Baugrund für Luxuswohnungen (Zollhafen, Winterhafen) oder völlig unnötige Rieseneinkaufsmalls (die Ludwigstraße soll von ECE verschandelt werden) verkauft oder einer der letzten schönen Orte zerstört, wo man nicht erst ordentlich Geld zahlen muss, um in Ruhe gelassen zu werden.

Das Atelier Zukunft musste im Mai schließen, das Haus Mainusch auf dem Campus, ohne das sehr viele Veranstaltungen wie z.B. jüngst das Ladyfest Mainz oder mein HipHop-Festival „Nix back in the days“ und unzählige weitere Sachen, Konzerte und Vorträge nicht möglich wären, hat seinen Mietvertrag von der Uni gekündigt bekommen. Gleichzeitig stehen in Mainz wirklich bemerkenswert viele Gebäude leer, allein um den Bahnhof herum sind es unzählige Häuser, das alte Hotel Eden beispielsweise, auch die Bonifatius-Türme stehen mindestens zur Hälfte ungenutzt in der Gegend rum. Vor zwei Jahren hat das Peng, das natürlich auch schon wieder bedroht ist an seiner jetzigen Adresse, mit der Operation Pusteblume dazu aufgerufen, Leerstände zu markieren. Unter dem Link zur Karte lässt sich sehen, was dazu bisher gefunden wurde, es ist bemerkenswert viel und das ist bei weitem nicht alles. Gleichzeitig sind die Mainzer Mieten preislich deutschlandweit in den Top10, da kann man schon mal ins Kotzen kommen.

Nun denn, all diese Probleme zeigen deutlich, dass sich schleunigst etwas ändern muss. Und wir haben das z.B. mit der Neutorschule versucht. Ich habe Anfang April nach einem Termin beim Kulturdezernat angefragt, um ganz prinzipiell mal vorstellig zu werden und abzuklopfen, inwieweit die Stadt sich des Problems bewusst ist und ob es möglich wäre, die Neutorschule zu bekommen als Lösung. Das Peng hatte bei der vorletzten Raumsuche 2010 (oder war es bei der letzten 2011?) auch schon versucht, dort hinein zu kommen, das scheiterte damals jedoch. Ich wollte es trotzdem nochmals probieren und noch mehr Leute und Initiativen zusammenbekommen, denn das hat auch bei den bisherigen FICKO-Aktionen immer ganz gut funktioniert. Also gab es vor dem ersten Kontakt mit der Stadt ein Treffen im Peng, das seinen Raum dafür freundlicherweise zur Verfügung stellte, zu dem alle Menschen und Gruppen, die Räume brauchen, aufgerufen wurden. Das war dann auch recht voll, es waren ca. 60/70 Leute anwesend und wir fingen an, Ideen zu sammeln, uns kennenzulernen und vorzustellen.

Nach dem Kontakt mit dem Kulturdezernat sollte der zweite Termin liegen. Dort ging ich dann mit Fitza vom Peng hin, der mich im Gegenzug zum Termin mit dem halbwegs neuen Mainzer Oberbürgermeister Ebling mitnahm. Dieser hatte dem Peng wenige Tage vor der Wahl noch die jetzige Örtlichkeit vermittelt, das Peng ist dort jedoch auch nicht so sehr willkommen, was garstige Briefe von Rechtsanwälten und Zettel von Anwohnern, die sich über allerlei Dinge beschweren, zeigen. Der Termin beim Kulturdezernat, bei dem uns Herr Hofmann empfing, war ganz ok. Er schien ernsthaft interessiert, auch wenn er auf Grund mangelnder Zuständigkeit zur Neutorschule gar nichts sagen konnte. Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, wem diese überhaupt gehört. Er versprach jedoch alle Unterstützung. Die Initiative „Kunst gegen Leerstand“, die 2011 versuchte, ebensolch einen Leerstand zu beheben, indem Eigentümer angeschrieben wurden, brachte aber z.B. leider überhaupt keinen Erfolg, es gab wohl nicht eine Antwort der Angeschriebenen.

Wir trafen uns dann weiter mindestens ein Mal pro Woche mit der nun so genannten „Initiative Neutorschule“. Beim zweiten Treffen war Frau Coester von der Bürgerinitiative zum Erhalt der Neutorschule da, die sich jahrelang gegen den Abriss des denkmalgeschützten Gebäudes engagiert hat. Sie konnte zur Geschichte des Gebäudes, in dem sie selbst zur Schule gegangen war und seiner Nutzung seit 1989, als es nicht mehr als Schule genutzt wurde, viel erzählen. Denn es waren schon vor 20 Jahren einmal allerlei Künstler und Vereine in den Räumlichkeiten und nutzten sie. Wir verfassten dann kurz vor dem Termin mit dem OB Anfang Juli auch eine Erklärung der Initiative, die unser Vorhaben vorstellte. Das Gespräch mit dem SPD-Mann Ebling verlief dann ziemlich ernüchternd. Er machte innerhalb von ca. 90 Sekunden klar, dass der Stadt keinerlei Interesse daran hat, dass irgendjemand in die Neutorschule geht außer den Baubüros des 41 Millionen Euro teuren Archäologischen Zentrums, die laut Eblings Aussage komplett die 4000 Quadratmeter der Neutorschule besetzen. Woran ich und so ziemlich alle anderen Leute, mit denen ich gesprochen habe, erhebliche Zweifel haben; in dem Moment war aber klar, dass der OB darauf spekuliert, dass wir uns von solcher Taktiererei beeindrucken lassen.

Ich versuchte dann noch einmal, Herrn Ebling klar zu machen, was es für eine Landeshauptstadt bedeutet, wenn sie auf Grund der oben genannten miserablen Situation alle Leute verjagt, die mit all ihren Aktivitäten ja durchaus auch zur Attraktivität einer Stadt beitragen und die Subkultur und die Atmosphäre erst schaffen, die eine Stadt zumindest für Leute unter 40 lebenswert machen. Abgesehen von ein paar scherzhaften Sprüchen blockte er aber alles ab und zeigte kein ernsthaftes Interesse an dem Problem. Er verwies auf die Geldnöte von Mainz, wollte der Initiative Neutorschule dann noch zwischen den Zeilen den missglückten Besetzungsversuch des Büro Wahlich unterschieben und meinte, dass sie ja gern etwas machen würden, wenn sie denn nur die Möglichkeit dazu hätten. Das war es dann auch mit dem Gespräch. Ich war hinterher entsprechend ernüchtert, aber immerhin erleichtert, dass jetzt offenbar die Fronten geklärt sind. Die Stadtregierung zeigt kein Interesse an unserem Problem bzw. bemüht sich sogar, uns Steine in den Weg zu legen. Warum, das ist immer noch nicht so ganz klar. Nach dem Treffen wurde dann die Planung für die Nachttanzdemo, die ich vorgeschlagen hatte, angegangen.

Diskursiv, die die erste Mainzer Nachttanzdemo vor zwei Jahren organisiert hatten, das Kritische Kollektiv, die Initiative Neutorschule, einige Ultras vom FSV Mainz 05, das Haus Mainusch, Attac und noch weitere Einzelpersonen trafen sich, organisierten Wägen, mussten sich mit dem Ordnungsamt herumschlagen, das Auflagen über Auflagen erteilte, mit insgesamt gleich sechs Personen die Stadtverwaltung vertrat und zwischenzeitlich gar verlangte, dass wir für Bauzäune zahlen, mit denen Baustellen in der Stadt geschützt werden sollten. Die Anlage des Wagens musste auf 70 Dezibel verplombt werden, das sollte dann auch noch 280 Euro kosten usw. usf. Also wieder ein deutliches Zeichen der Stadtverwaltung. Als ich am Tag der Demo morgens noch ein Interview fürs Radio gab, fanden wir lustigerweise erst nach ca. 20 Minuten einen ruhigen Ort, in dem nicht vom Bauhof Mainz gebaut, gehämmert, Laub geblasen oder Hecken geschnitten wurden… Die Demo selbst war ein voller Erfolg, wer der Polizei glauben möchte, sagt 600 Teilnehmer. Also kann man durchaus von 800-1000 ausgehen. Hier kann man sich einen Eindruck verschaffen, wie das aussah, die Reden habe ich leider nicht alle filmen können, weil ich ja auch selbst zu tun hatte.
In der Mainzer Allgemeinen Zeitung gibt es auch noch einen Videobericht. Der Zeitungsartikel ist ehrlich gesagt eine Frechheit und basiert offenbar ohne jegliche eigene Recherche ausschließlich auf dem Polizeibericht und schreibt bürgerkriegsähnliche Zustände herbei, die in ihrer Lächerlichkeit sicher noch zu überbieten sind, was aber garantiert nicht der Glaubwürdigkeit des Mediums zugute kommt. Zur Ehrenrettung könnte man noch auf den regulären Artikel hinweisen, der zur Demo geschrieben wurde. Aber der ist leider nur Abonennten online zugänglich, die Verlage und ihre Strategien…

Weil das aber Standard ist und permanent passiert, hier vielleicht noch etwas Grundsätzliches zu Polizeieinsätzen und der Berichterstattung darüber: Ich habe direkt nachdem die Polizei mit ziemlich unnötiger Brutalität erst einen, der angeblich wirklich etwas gemacht hatte (Flaschenwurf oder Feuerwerk o.ä.) und dann noch mindestens drei weitere Personen schlug, schubste, an die Bushaltestelle drückte, aus nächster Nähe direkt Pfefferspray in die Augen sprühte und derlei Dinge, mit Zeugen Gedächtnisprotokolle aufgenommen. Es gab um 22:15 Uhr kurz am Ende des Zuges Aufruhr und die Polizei fing sofort an, zuzuschlagen und wahllos auch Umstehende mit Reizgas anzugreifen. Dass dann hinterher Überschriften wie „Mainzer Ultras randalieren“ entstehen, ist ein Armutszeugnis für die Presse. Erstens waren die Ultras friedlich, ein Bengalo von den vier, fünf Leuten, die Feuerwerk dabei hatten, ist ja wohl wirklich nur bei ernsthaft Hirngeschädigten Gewalt, zweitens hat die Polizei viel mehr Leute verletzt. Und am Ende kommen wieder so dumme, völlig verzerrte Debatten heraus, die Leute führen, die offensichtlich keinen Einblick haben, aber härteres Vorgehen der Polizei fordern.

Gerade den Ultras wird da immer wieder äußerst übel mitgespielt, hier ein Beispiel. Ich kenne die Ultraszene anderer Vereine nicht, weiß aber aus eigener Erfahrung gerade jetzt in der Initiative Neutorschule, dass die Mainzer Ultras sehr korrekte Menschen sind, die sich auch außerordentlich für die Gesellschaft engagieren. Sie tun etwas gegen Homophobie im Fußball ( z.B. diese Aktion. Meenzelmänner sind keine Ultras, aber bemerkenswert für die Atmosphäre in der Fanszene ist es doch), sammeln Spenden fürs Frauenhaus oder einen Kindergarten, kicken wöchentlich mit Asylbewerbern etc. pp. Auf jeden Fall war von diesen Ärgernissen abgesehen die Demo voll, voll gut, höchst spaßhaft und die Vernetzung geht voran. Da wird noch einiges mehr passieren.

Und es passierte auch schon :). Seit Freitag, den 3.8.2012 gibt es zum ersten Mal seit 24 Jahren wieder ein besetztes Haus in Mainz, in der Oberen Austraße 7 im Industriegebiet am Nordhafen. Eine sehr gute Nachricht und auch endlich das nötige Aufbruchsignal. Denn neuerdings verjagt das Ordnungsamt auch noch vom Mombacher Strand im Norden von Mainz die Leute. Wäre ja noch schöner, wenn man mal einfach so irgendwo entspannen könnte. Das ist jetzt aber so ungefähr der Tropfen, der den heißen Stein zum Überlaufen bringt (Hahlär at Dende). Und das Haus ist ein Auffangbecken bzw., wie das Transparent an der Außenfassade sagt, ein Gegenvorschlag zu all dem Abtöten von Kultur und Leben. Ich habe vor einigen Tagen auch einen kleinen Podcast mit ein paar BewohnerInnen gemacht, aber es gab wegen des Umbaus auf der Seite hier Probleme mit dem Upload, das muss ich dann nachreichen, wenn ich wieder in Mainz bin. Ihr könnt euch hier aber ein Bild machen, selbst einen Besuch abstatten ist natürlich viel besser.

Und das ist der jetzige Stand der Dinge. Weil der Artikel jetzt so langsam lang genug ist, verweise ich noch auf die Website des Hauses, das auch – momentan zumindest – täglich einen Newsletter verschickt. Der Kontakt mit der Stadt ist aufgenommen, auch wenn diese mit allen möglichen (schmutzigen) Tricks versucht, das Haus schleunigst wieder zu schließen. Nachdem es jahrelang leerstand und jeder ungesichert reinkonnte, wurde nun plötzlich behauptet, es sei einsturzgefährdet usw.. Vielleicht müssen wir in Mainz einfach mal deutlich zeigen, was wir von solch einer Stadtpolitik halten. Kommt alle vorbei und schaut es euch an. Denn es ist auch unsere Stadt.



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