„Herzlich willkommen in einem Verein, den keiner haben will“
Das „Café Paradies“ in der Keupstraße ist um 12 Uhr brechend voll – jeder Platz ist besetzt. Es werden zusätzliche Stühle organisiert. Das Thema des angekündigten Vortrags lautet „Institutioneller und gesellschaftlicher Rassismus gegen Sinti & Roma und der Widerstand dagegen“. Direkt zu Beginn wird klargestellt, dass der Vortrag anders als geplant ablaufen muss – einer der Redner, der Künstler und Aktivist Selami Prizreni, wurde am 16.05. in den Kosovo abgeschoben. Später wird sein Bruder zu uns stoßen und uns Genaueres über Selamis Situation berichten.
Eine Mitarbeiterin der Initiative „Dosta! Es reicht“ begrüßt uns dann mit den Worten „Herzlich willkommen in einem Verein, den keiner haben will.“ Sie berichtet von der besonderen Ausgrenzung und Stigmatisierung, die Sinti und Roma in Deutschland immer noch trifft, auch und vor allem ausgehend von deutschen Institutionen. Durch Gesetzgebung zugesicherte, universelle Rechte wie Familienschutz und Schulpflicht werden immer wieder missachtet – Kindern der Zugang zu Schulbildung verwehrt. „Könne man denn dagegen nicht gerichtlich vorgehen?“ kommt die Frage aus dem Publikum? Natürlich könne man das! Allein benötigt man die nötigen Ressourcen, Unterstützerkreise und die Kraft. Wie so oft gilt – wo kein Kläger, da kein Richter.
Die wohl gefährlichste und schwerwiegendste Problematik, der sich Roma ausgesetzt sehen, ist die deutsche Abschiebepraxis. Nahezu alle Herkunftsländer der Asylsuchenden hat der deutsche Staat als sogenannte sichere Herkunftsstaaten deklariert und lehnt somit per Standardbrief die Asylanträge ab – was völlig ausblendet, welcher Verfolgung und Ausgrenzung die Betroffenen aufgrund ethnischer Zuschreibungen in den Ländern ausgesetzt sind. Zum Rückführungsabkommen mit Kosovo sagt sie „Die Geflohenen werden zu ihren ehemaligen Schlächtern zurückgeschickt und das jetzt schon in der zweiten Generation“.
Deshalb die zentrale Forderung der Initiativen, die sich mit Rassismus gegen Sinti & Roma beschäftigen, die Einzelfallprüfung der Asylanträge. Die Beratungsstellen raten ihren Klient*innen davon ab, selbständig mit Behörden in Kontakt zu treten, da diese unter Androhung der Aufhebung des Duldungsstatus die Menschen zur Unterzeichnung der freiwilligen Ausreise nötigen. Auch gibt es Fälle, in denen nur Teile der Familie abgeschoben werden sollen – etwa eine Mutter mit ihrer Tochter, während der Vater mit seinem Sohn bleiben darf, da dieser eine Ausbildungsstelle hat. Überhaupt ist eine Ausbildungsstelle die einzige realistische Chance einer Duldung. Mit einem Facharbeiterbrief in der Tasche kann man dann den Weg einer Petition einschlagen, um Deutschland zu beweisen, dass man nützlich für das Land sei. Der Sozialdarwinismus wird in Deutschland groß geschrieben.
Neben dem institutionellen Rassismus sprechen wir aber auch über gesellschaftlichen Rassismus – darüber, wie Sinti und Roma zu Randgruppen gemacht werden. Sie würden zum „fahrenden Volk“ gemacht – da sie nirgendwo willkommen seien. Wir hören auch, dass sich Menschen abwenden, sobald sie das Wort „Roma“ hören – die Folge sei Abkapselung oder Assimilation. Entweder wolle man nichts mehr mit der Mehrheitsgesellschaft zu tun haben, die einen ja als „die Anderen“ aussortiert hat oder man verschweige seine Herkunft, um sich nicht dem Rassismus auszusetzen. In beiden Fällen werde man unsichtbar.
Eine weitere Kritik ist die fehlende Lobby und Einbeziehung in antirassistische Kämpfe. Während (berechtigterweise) allerorts Entrüstung wegen der Abschiebungen nach Afghanistan herrsche, sei es bezüglich der kontinuierlich startenden Abschiebeflieger nach Kosovo allzu ruhig. Die Forderungen sind klar und deutlich: Antirassismus ist nicht zu Ende gedacht, wenn er die Perspektiven von Sinti und Roma nicht einbezieht. Es gilt, das Schweigen aufzubrechen und die Kämpfe zu verbinden! Es gibt viele starke, gut aufgestellte Initiativen, wie „Dosta! Es reicht“, „alle bleiben!“ oder „Roma-Art-Action“, die in dem Bereich aktiv sind.
Zum Ende der Veranstaltung erzählt uns Kefaet, Selami Prizrenis Bruder, wie es seinem Bruder im Kosovo gehe. Er sagt, im Kosovo sei niemand mehr. Mittlerweile seien alle Ethnien abgehauen, da wolle keiner mehr wohnen. Selami macht das nun zum zweiten Mal durch, bereits 2010 waren sie beide in den Kosovo abgeschoben worden. Eine Aktion, die das Verwaltungsgericht 2012 für Unrecht erklärte. Den Brüdern wurde trotzdem die Rückkehr nach Deutschland verboten. „Könnt ihr euch das vorstellen? Wir sind hier geboren, werden zu Unrecht abgeschoben und müssen dann trotzdem „illegal“ einreisen? Wie kann es denn illegal sein, in sein Geburtsland zurückzukehren?“
Aber es gibt Hoffnung: Selamis Abschiebung hat so große Wellen geschlagen, dass sich die Stadt Essen genötigt sah, eine Stellungnahme zu verfassen. Die Organisator*innen des NSU-Tribunal und die beteiligten Schauspielhäuser haben mittlerweile einen offenen Brief verfasst, in dem sie Selamis unverzügliche Rückkehr fordern. Sein Bruder schließt die Veranstaltung mit dem Aufruf, dass alle zusammenarbeiten sollten, um die rassistische Praxis in Deutschland zu beenden. Die herrschenden Gesetze seien unmenschlich, unmoralisch und in der heutigen Gesellschaft einfach nicht mehr tragbar!