Eine Illustration, wie weit hinein in die Gesellschaft der türkische Faschismus reicht [Longread]:
Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime heißt Mehmet Alparslan Çelebi. Sein Mittelname ist dem Gründer der Grauen Wölfe entlehnt. Çelebi ist Gründer des ATIB, einer Organisation, die vom Verfassungsschutz den Grauen Wölfen, einer rechtsextremen türkischen Nationalismus-Bewegung zugerechnet wird. Der Vater von Çelebi war dem Vernehmen nach Führer der Grauen Wölfe in Deutschland und Wegbegleiter ihres Gründers. Außerdem soll er die Tatwaffe für das Papst-Attentat 1981 besorgt haben.
Celebi trägt seinen Mittelnamen stolz.
Auf seinem Facebook-Profil droht Mehmet Alparslan Çelebi indirekt mit zivilen Unruhen in Deutschland, sollte man sich nicht auf die Seite der türkischen Nationalisten stellen: „Jeder in Deutschland sollte sicher sein, dass die Menschen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben um einen Putsch zu verhindern, nicht zögern werden, das gleiche zu tun, wenn es um die innere Sicherheit in Deutschland geht. Über Loyalität kann jeder sprechen, aber wenn es hart auf hart kommt, trennt sich die Spreu vom Weizen.“ Übersetzung: Kritik am türkischen Regime sieht er als Gefahr für die innere Sicherheit, da Rassismus. Und damit hat er recht: Anhängern eines intoleranten Despoten traue ich alles zu, auch die gewaltsame Niederschlagung berechtigter Kritik. Mit Spreu vom Weizen beschreiben viele türkische Nationalisten derzeit die „Säuberungen“. Wie so ein Spreu-vom-Weizen-trennen aussehen kann, erleben wir derzeit täglich. Einen Vorgeschmack, wie zivile Unruhen türkischer Nationalisten aussehen könnten, zeigten sie bei ihrer unangemeldeten Demo in Wien, wo kurdische Cafés vandaliert und Unbeteiligte verprügelt wurden.
Eine ähnliche Rhetorik kennt man auch von Pegida und der AfD. Warum darf ein türkischer Nationalist mit potenziellen Verbindungen zu Rechtsextremisten bei TEDx sprechen? Warum darf er die Politik beraten (u.a. Peter Tauber von der CDU)?
Mehmet Alparslan Çelebis Facebook-Pinnwand ziert ein weichgezeichnetes Porträt des Despoten Erdogan. Er vertritt nach außen durch den Zentralrat die muslimische Gesellschaft in Deutschland. Aber der Name des Verbandes täuscht. Anders als der Zentralrat der Juden spricht der ZdM nicht für die Mehrheit der Muslime in Deutschland, wird aber in der Öffentlichkeit durchaus so wahrgenommen. Mit 10.000 Mitgliedern gehören sie zu den kleineren Verbänden, leben aber von einer starken medialen Präsenz. Nahosthistoriker Guido Steinberg verortet den ZdM als gemeinsames Projekt der in Deutschland im Exil befindlichen Teile der syrischen und ägyptischen Muslimbruderschaft, die die Schaffung islamischer Staaten überall dort anstrebt, wo Muslime die Mehrheit stellen. Der Verfassungsschutz in NRW bewertete die Ideologie der Muslimbruderschaft 2006 als unvereinbar mit dem Grundgesetz. Der Zentralrat hat Wikipedia zufolge in Beiträgen wiederholt festgestellt, dass er Muslime nur dann den Gesetzen verpflichtet sieht, wenn diese im Einklang mit dem islamischen Glauben stehen. Der ZdM schätzt Denker wie al-Qaradawi, der die Todesstrafe für Apostaten, Ehebrecher und Homosexuelle fordert sowie Sayyid Qutb, der den Antisemitismus im Islam maßgeblich prägte. (Eine Stellungnahme Gümüsays zur Kritik ist unten verlinkt)
Muslimische Kritikerinnen und emanzipatorische Kräfte wie Sineb El Masrar versucht der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime gern mal mundtot zu machen, so unterstützte er unter anderem die Klage von Millî Görüş gegen ihr Buch Emanzipation im Islam. Er wertet muslimische Kritiker*innen des Islams ab: „Die Protagonisten der Anti-Islam-Bewegung, die meist türkischstämmig sind und all das gegen den Islam sagen dürfen, was dem einen oder anderen Populisten verwehrt bleibt, sind in diesem Fall die größten Gegner der Integration.“ Eine Reformation des Islams hielt er in einer Bewertung des Positionspapiers „Für einen Islam mitteleuropäischer Prägung“ für unnötig. Er ist sowas wie der Erika Steinbach der türkischen Gemeinde.
Apropos Millî Görüş: Der Bewegung werden antisemitische Charakterzüge unterstellt, die Organisation wird vom Verfassungsschutz als antidemokratisch eingestuft. Teile der AKP sind Träger der Bewegung. Der Gründer von Millî Görüş bezeichnete Juden als „Bakterien“. Er war einer der Mentoren von Erdogan. Die deutsche Sektion hat sich offiziell vom Antisemitismus distanziert. Für die deutsche Sektion stellte der Verfassungsschutz in Aussicht, dass sie aus der Beobachtung fallen könnte.
Wenige Stunden nach dem Putsch veröffentlichte Mehmet Alparslan Çelebi ein Loblied auf den niedergeschlagenen Putsch auf HuffPo. Er lobt alle, die sich „geschlossen hinter die Demokratie und den Staatspräsidenten“ stellen. An Zynismus nicht zu überbieten. Die Demokratie in der Türkei ist nicht erst seit dem 15. Juli auf der Kippe. Bei Facebook verharmloste er die Selbstjustiz der türkischen Nationalisten. Betül Ulusoy, die die „Säuberungen“ durch das Regime verteidigte und zurecht von Landsleuten und Demokraten kritisiert wird, springt er zur Seite und zündet inhaltlich Nebelkerzen, ohne dass er die Kritik entkräften kann. Zwischenzeitlich prangert er die Verlängerung des Ausnahmezustandes in Frankreich an. Man muss ihm glauben, er kennt sich mit Diktaturen bestens aus.
„Ankaras Rachefeldzug gegen Anhänger der Gülen-Bewegung hat Deutschland erreicht“, schreibt die FAZ und berichtet: Die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ ruft dazu auf, Erdogan-Kritiker als „Vaterlandsverräter“ zu denunzieren. Eine entsprechende Telefon-Nummer wird mitgeliefert. Die UETD ist ein Ableger der AKP. Der Tagesspiegel nennt sie „Lobbyist der türkischen Regierungspartei AKP“. Bei Facebook droht die UETD offen der österreichischen Regierung. Sie betrachtet sich selbst als Vertretung aller Türken in Europa. Bei Anne Will beschwört ihr stellvertretender Vorsitzender antisemitische Verschwörungstheorien: „Zionistische Parallelstrukturen“ seien Schuld daran, dass Erdogan eingreifen musste. Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime feiert bei Facebook Zingals Auftritt.
Ein weiterer Lautsprecher Erdogans ist der Unternehmer Remzi Aru. Keine Kritik an der Aussetzung des Rechtsstaates, dafür Geheule, wie sehr die Medien alles falsch interpretieren. Den Grünen-Politiker Cem Özdemir beleidigt er als „Haustürken„. Den Begriff prägte Kübra Gümüsay für unliebsame Kritikerinnen wie die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek. Natürlich darf man sowohl Cem Özdemir als auch Necla Kelek kritisieren. Aber wie Anatol Stefanowitsch festhielt, spricht der Begriff einer Necla Kelek die Legitimation ab, als Türkin und als Muslima zu sprechen. Ein bekanntes Vorgehen gegen Apostaten.
Aber zurück zu Çelebi und dem Zentralrat der Muslime. Vor einiger Zeit war Mehmet Alparslan Çelebi etwas traurig, dass sich niemand für die von ihm herausgegebene Abhandlung interessierte, die einem Muslim die Entdeckung Amerikas zuschrieb. Die Bundestagserklärung zum Genozid an den Armeniern verurteilte er natürlich. Deutschland habe seine Vorväter zu Mördern gemacht. Da macht jemand den Bock zum Gärtner.
Weder Mehmet Alparslan Çelebi noch der Vorsitzende des ZdM Aiman Mazyek haben sich bis heute von den faschistoiden Entwicklungen in der Türkei distanziert, der bislang über 58.000 Menschen zum Opfer fielen. Das Regime in der Türkei konnten sie aber durchaus in schnellen Erklärungen loben. Sie finden aber Zeit, Frankreich für die Verlängerung des Ausnahmezustandes zu kritisieren. Das gleiche gilt für DITIB und den Vorsitzenden des Islamrates Ali Kızılkaya, der die Pressemitteilungen der AKP, in der die mediale Darstellung des Regimes im Westen gerügt wird, unreflektiert teilt. Lob für die Niederschlagung, kein Wort über den derzeitigen Faschismus. Keine Solidarität mit Türk*innen, die mit Hass und Morddrohungen überzogen werden, dessen Familien in der Türkei Repressalien fürchten. Dass der ZdM von Erdogan-Anhängern unterwandert ist, gilt als offenes Geheimnis. DITIB wird gemeinhin als verlängerter Arm von Erdogan in Deutschland verstanden. Und auch der Vorsitzende des Islamrates beweist derzeit unverblümt seine AKP-Nähe.
Und das ist das Ergebnis einer oberflächlichen Recherche in den letzten Tagen. All das muss man in der Betrachtung der derzeitigen Ereignisse berücksichtigen. Es geht hier nicht um den Islam. Er ist – wie jede Religion – mit Sicherheit Teil des Problems, aber in der türkischen Krise grad eher ein Nebenschauplatz. Was wir hingegen erleben ist der Aufstieg des Faschismus und das neue Selbstbewusstsein seiner Anhänger in Europa. Und damit schließt sich der Kreis: DITIB betreibt die meisten sunnitischen Moscheen in Deutschland. Kaum vorstellbar, dass Erdogans Einfluss mit den Schuhen vor der Tür bleibt.
Ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit der Menschen, die auf die genannten Institutionen vertraut, friedliebende, demokratische Bürger sind, die die türkische Diktatur ablehnen.
Ihre Wortführer sind es nicht.
(Gastbeitrag von J.S.)