Einen Tag vor dem diesjährigen 13. Todestag von Oury Jalloh, der am 7.1.2005 in einer Polizeizelle in Dessau, Sachsen-Anhalt verbrannte und nach momentanem Kenntnisstand der unabhängigen Ermittlungen von Polizisten ermordet wurde, tauchten via Twitter Fotos aus Dessau und Umgebung auf. Über den Account „Oury-Jalloh-Stadt Dessau“ wurde im Rahmen eines Stadtmarketingplans verlautbart, dass die rassistischen Morde nun untrennbar mit der Geschichte der Stadt und des Landes Sachsen-Anhalt verbunden sind. Wer an Dessau denkt, denkt an Mord durch Polizisten und staatliche Vertuschungsversuche.
Die Stadt #Dessau grüßt ihre Gäste mit neuen #Autobahn-Schildern! Anlässlich der kommenden @OuryJalloh-Gedenkfeier bekennt sich die Stadt Dessau zur Singularität des Ereignisses vor 13 Jahren und wünscht allen Teilnehmenden einen sicheren Aufenthalt. #OuryJalloh pic.twitter.com/mt0CIPg3Al
— Oury-Jalloh-Stadt (@Stadt_Dessau) January 6, 2018
Mit den Menschen hinter der Kampagne konnte FICKO ein Interview führen, das nun vorliegt.
Wie kam es zu der Idee, auf eigene zivilcouragierte Initiative von der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen und etwas zur Demokratisierung Deutschlands beizutragen?
Auch Dessau hat jene braunen „touristischen Unterrichtungstafeln“ an der Autobahn stehen, auf denen das Bauhaus Dessau gewürdigt wird. Beim Vorbeifahren ist uns schon sehr oft der Gedanke gekommen, dass zwar Dessau für das Bauhaus bekannt ist, uns aber immer das große Rätsel um den Todesfall Oury Jalloh einfällt. Darauf in Form eines eigenen Motivs hinzuweisen, fanden wir im Angesicht der jüngsten medialen Dynamiken und des 13. Jahrestages sehr passend. Im Übrigen sind wir der Meinung, dass es sich nach derzeitiger Sachlage ja eigentlich um ein Wunder handeln muss.
Wollt ihr etwas über die Durchführung sagen oder würde das zukünftige Aktionen gefährden?
Die Durchführung stellte uns vor keine größeren Probleme, aber sie benötigte eine mehrwöchige Planung. Vor allem die Anbringung des Plakats direkt vor dem Polizeirevier stand unter dem Motto: Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Uns war allerdings auch klar, dass die Plakate wahrscheinlich nicht lange hängen werden. Verschiedene Akteur*innen – wie Polizei, Autobahnmeisterei, und rechte Gruppen, die ja gern auch mal selbst aktiv werden – würden für die Entfernung Sorge tragen. Daher haben wir umgehend Fotos gemacht und im Netz verbreitet.
Wie waren die Reaktionen?
Wir waren überrascht, wie gut die Aktion angekommen ist. Nicht nur hat die Oury-Jalloh-Inititative, deren sehr wichtige Arbeit wir supporten wollten, die Plakatierung positiv gesehen. Auch Medien wie Bento haben sie als willkommenen Kommunikationsanlass genutzt, um über die Hintergründe des Todesfalles zu berichten. Wir sehen die Aktion als einen Beitrag unter vielen, der die Aufklärung des Falles und seine öffentliche Aufarbeitung fordert.
Hattet ihr schon einmal das Handbuch der Kommunikationsguerilla in der Hand?
Ja, selbstverständlich. Das ausführende Kollektiv hat auch schon früher zahlreiche Erfahrung im Bereich der Kommunikationsguerilla gemacht. Wir können auch für das weiterführende Studium jener, die an solchen Aktionen Gefallen finden und so etwas selber machen wollen, das Werk von Christoph Schlingensief, Konrad Kujau, Silke Wagner, den Guerilla Girls, der Front Deutscher Äpfel und des BRIMBORIA-Instituts anempfehlen.
Was sind die wichtigsten Tipps, die ihr den vielen Gruppen, die euch folgen werden, mit auf den Weg geben würdet?
Unser Tipp: sich nicht von der Umsetzung einer Idee abhalten lassen, weil juristische Gefahren drohen. Die sind manchmal geringer als sie erscheinen. Die Mittel, die zur Durchführung nötig waren, finden sich im Internet. Also fürchtet euch nicht, es gibt viele Schilder da draußen, die einer Generalüberholung bedürften.
Letztlich hoffen wir, dass die Aufmerksamkeit auf den Fall Oury Jalloh Früchte trägt. Daher auch an die Staatsanwaltschaft Naumburg, die jüngst den Fall neu aufgenommen hat: Wir behalten die Entwicklungen im Auge!