Neulich hatte ich etwas mit einem Typen, der in der „linken Szene“ ein richtiger Hit ist. Ein Hit, wie jemand, der gerade unter Einsatz seines Lebens 30 Kinder auf seinen starken, tättowierten Armen gestapelt aus einem brennenden Haus balanciert hat. Oder wie der Gastgeber, der seinen Gästen um 2 Uhr morgens mit Käse überbackene Nachos auf der Party serviert. So ein richtiger Knaller eben. Einer, der anpackt und einer, der die Probleme auf der Welt verstanden hat. Einer, zu dem alle aufgucken, weil er sein gesamtes Privatleben seiner politischen Arbeit geopfert hat. Und immer mit müden, freundlichen Augen abwinkt, wenn er dafür ein Kompliment bekommt. Einer, der sagt, er versuche seine Rolle im Patriarchat zu reflektieren. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass er zwar das Wort „Konsens“ kannte und inhaltlich sowie grammatikalisch korrekt in Sätze einbauen konnte, davon aber in der Praxis nicht viel zu sehen war.
Wir kannten uns schon seit ein paar Jahren aus der Provinz, in der wir beide uns in der linken Szene rumgetrieben hatten. Ich fand seinen verhaltensgestörten Hund scheiße, er meinte ich sehe aus wie eine Lehramtsstudentin. Wir hatten nie viel miteinander zu tun. Ich zog irgendwann weg, er blieb noch ein bisschen. Drei Jahre später, 2016, trafen wir uns dann an unserem jetzigen Wohnort wieder. Wir hatten ein Date, er pennte bei mir. Wir sahen uns öfter und waren beide ein bisschen verliebt. Der Typ konnte die feministischen Vokabeln und gab gleichzeitig den sensiblen, tiefgründigen Mann. Ich war davon sehr beeindruckt, nicht zuletzt, weil er eben der Typ ist, den alle kennen, der so viel reißt und der mich anscheinend ganz hervorragend fand. So fing das an, im Herbst 2016. Nachdem wir eine Weile etwas am Laufen hatten, häuften sich die Stimmen, die mir berichteten, dass er das provinzielle Städtchen nicht ganz freiwillig verlassen hatte. Wie das so ist, wussten alle irgendwas, aber niemand genaues, außer dass er ein irgendwie „übergriffiger und manipulativer“ Typ sei. Nachdem ich meine Kontakte spielen lassen und nur noch mehr verwirrende Infos erhalten hatte, beschloss ich ihn direkt danach zu fragen. Er stand halbwegs bereitwillig Rede und Antwort. Nach diesem Gespräch ging die Shitshow richtig los.
Der wichtige Mann und die aggressive Verrückte
Ich hatte ihm zu diesem Zeitpunkt schon mehrmals davon erzählt, dass es mir gerade aus verschiedenen Gründen nicht gut ging und ich mich nicht sehr stabil fühlte. Ich bat ihn aus diesem Grund um ein Gespräch über unser Verhältnis. Er war ausgesprochen verständnisvoll und beteuerte, dass ein Gespräch kein Problem sei. Danach sahen wir uns ganze sechs Wochen: Gar nicht. Per Kurznachrichtendienst ließ er mich wissen, er sei extrem beschäftigt, wichtig wichtig, politische Arbeit, heiße Phase, ohne ihn liefe da nix. Aber es sei ihm trotzdem ganz ehrlich ein großes Anliegen mit mir zu reden, dem Guten. Statt für ein Gespräch fand er nach sechs Wochen die Zeit angetrunken bei mir aufzukreuzen und Sex zu initiieren noch bevor ich überhaupt die Wohnungstür hinter ihm geschlossen hatte. Ich war völlig überrumpelt, weil ich nicht verstand, dass der coole Feminist hier gerade ohne mein Einverständnis alle möglichen sexuellen Praktiken an mir vollführte, nachdem ich ihm mehrmals sehr deutlich gesagt hatte, dass ich Probleme in der Beziehung zu ihm hätte und mal mit ihm reden müsse. Da er bisher jedes Mal sauer geworden war und mich auf mein „einschüchterndes und aggressives Verhalten“ hingewiesen hatte, wenn ich ihn für das Aufschieben des Gesprächs kritisiert hatte, nahm ich an, dass sei wohl alles meine Einbildung und ich sei einfach eine aggressive, hysterische Bitch. Ich bat danach weiterhin um Gespräche und ließ noch ein ähnliches Treffen über mich ergehen, bevor ich ihn schließlich absägte. Nicht ohne ihm gegenüber noch einmal alles auf mich, meine Instabilität und Unfähigkeit einfach mal entspannt zu sein zu nehmen. Soviel zum Thema „ein irgendwie übergriffiger und manipulativer Typ“.
Nachdem ich irgendwann nach Ende unseres Intermezzos halbwegs geschnallt hatte, dass der Mensch, den ich vor kurzem noch so angehimmelt hatte, eher nicht der verlässliche Feminist war, für den wir beide ihn hielten, wusste ich erst nicht so recht, was ich machen sollte. Erst versuchte ich die Erkenntnis zu ignorieren. Das klappte nicht und ich fühlte mich erniedrigt und extrem wütend im Wechsel. Ich beschloss ihm einen Brief zu schreiben, für den ich eine Woche, eine Taschentuchbox und den Zuspruch von zwei korrekturlesenden Betreuer_innen brauchte. Ich brauchte noch eine Woche, um mich zu trauen ihn abzuschicken. Nach einem Monat (Stichwort: wichtiger Typ) kam ein Schmalspur-Entschuldigungs-Fünfzeiler als Antwort. Wir diskutierten erst zwei Wochen per Whattsapp und stritten uns anschließend in Persona auf der Straße, wo ich so sauer wurde, dass ich kurz weinte und ihn dann stehen ließ. Während dieser Zeit schlief ich vor Aufregung nur circa vier Stunden pro Nacht und fragte mich weiterhin wie ich, die mit der großen Fresse und dem Feminismus-Diplom, das hatte zulassen können. Er schrieb mir nach dem öffentlichen Showdown einen Brief, in dem er alle meine Vorwürfe restlos anerkannte. Damit hat es mich alles in allem zwei Monate Kampf gekostet, eine vernünftige Entschuldigung zu bekommen: Den ersten Monat musste ich mir selbst glauben und verzeihen lernen, den zweiten musste ich mit offenem Visier vehement Antworten einfordern. Das war nicht leicht und mir ging es auch mit meinen Freund_innen und FICKO im Rücken, deren Solidarität und Zuspruch mir über meine Unsicherheit halbwegs hinweggeholfen haben, nicht gut dabei. Ich bin dennoch froh, dass ich die Konfrontation gewählt habe, weil ich nichts für die Scheiße kann.
Das sind keine Psychopathen, das sind einfach nur Typen
Was für mich bleibt ist die Gewissheit, dass das viel normaler ist, als wir alle denken. Wir alle kennen diese Typen, die irgendwie schon ein bisschen uncool sind. Die wissen, dass sie über Pickup-Artists lieber nichts sagen sollten, psst, aber heimlich doch irgendwie interessiert daran sind, wie man Frauen neurolinguistisch programmieren kann. Über die dann irgendwie doch rumgeht, dass sie nicht ganz cool mit ihrer Ex-Freundin umgegangen sind. Deswegen müssen wir auch nicht bei dem einen Einzelfall die Fackeln anzünden, wo die Betroffene sich durchgerungen hat das öffentlich zu machen und wo es dann mal geklappt hat, dass ihr geglaubt wird. Wir sollten uns nicht einbilden, dass das Einzelfälle sind. Sowas passiert ständig und die Typen sind unsere Freunde, die sind in unserem Team. Deshalb hat es keinen Sinn in einzelnen Fällen zu skandalisieren ohne die gesamte Struktur zu kritisieren, weil das nur das Problem verschleiert: Der Skandal ist, dass es eigentlich kein Schwein interessiert, wenn nicht der Platzhirsch von der hysterischen Bitch aus dem autonomen Zentrum gejagt wird. Wir sehen uns dann alle Mitte September auf dieser einen großen Demo gegen die fundamentalistischen Christ_innen in Berlin-Mitte. Achja, und am 8. März. Und das war‘s.
Der Grund dafür, dass so etwas so häufig passiert ist simpel: Auch Menschen, die sexualisiert übergriffig werden, sind keine psychisch kranken Monster, die man auf Alkatraz in einen einen dunklen Kerker sperren muss. Das sind stinknormale Typen, die ihr anerzogenes Sexual- und Dominanzverhalten nicht ausreichend reflektiert haben. Solche, die denken, sie seien Feministen, wenn sie sagen, dass sie Feministen sind. Mr. Käsenacho ist kein Psychopath, der ist einfach nur ein Typ. Einer, der die Dynamik zwischen uns genutzt hat, um seinen Einfluss auf meine Entscheidungen auszubauen, wodurch er dann meine Widerstände mit einem Fingerschnipsen brechen konnte. Das sah dann so aus, dass er mit Hundeblick einfach noch zwei Mal gefragt hat, wenn ich zu irgendetwas beim Sex Nein gesagt hatte. Bis ich dann doch ja gesagt habe. Um ihn nicht zu enttäuschen. Um nicht die frigide Alte zu sein. Damit er mich nicht zurückweist. Weil er ja der große Feminist ist, der nichts falsch machen kann und ich die aggressive Verrückte, die das mit Sicherheit nur falsch verstanden hat. (Und das ist der Grund, warum ein Nein immer reichen muss.)
Wenn es nur um die Bitch geht, ist es egal
Dass sexualisierte Gewalt eben ein ganz gravierendes Typen-Problem ist, wollen viele Leute nicht wahrhaben. Das gilt auch für die Linke. Deswegen sind öffentliche Diskussionen um sexualisierte Gewalt zu großen Teilen für den Arsch. So wie ich diesen Text jetzt schreibe, wird es vielleicht ein paar beschissene, aber auch viele sich solidarisierende und nette Kommentare geben. Würde ich hingegen den Namen der Person nennen, wäre richtig Randale in der Kommentarspalte. Und das ist das Problem: Wenn es nur um die Bitch geht, ist es egal, aber wenn es um den armen, armen Mann geht, dann geht es richtig ab. Ich habe es satt zu sehen, wie sich Leute, die auf der richtigen Seite stehen müssten, auf die falsche Seite stellen, because they can. Weil es so erschütternd wäre sich einzugestehen, dass Übergriffe eben zwangsläufig passieren, wenn Männer nur die feministischen Vokabeln vor sich hinstammelnd wie tiefgefrorene Teenager-Zombies durch ihr Sexualleben torkeln. „Konsens, Konsens“. Bla bla bla. Weil es eben einfach einfacher ist die Betroffenen unter den Bus zu werfen, und gleichzeitig über das Awareness-Team zu rofln, während kein einziger Pieps darüber zu hören ist, wie beschissen die Situation eigentlich ist.
Hannes
Danke. Ich fühle mich zu beklemmenden 49% angesprochen und feiere mit den verbliebenen 51% die Formulierung
„Weil es so erschütternd wäre sich einzugestehen, dass Übergriffe eben zwangsläufig passieren, wenn Männer nur die feministischen Vokabeln vor sich hinstammelnd wie tiefgefrorene Teenager-Zombies durch ihr Sexualleben torkeln.“
Tagedieb
Die dargestellte Erfahrung führt mich in die frühen 90er Jahre zurück, in der ich die Erfahrung gemacht habe, dass besonders die besonders verständnisvollen, aufgeklärten, reflektierten Typen in linken/extrem linken Kreisen letztlich die größten Arschlöcher waren in Bezug auf Manipulation von Menschen. Und das ausgerechnet viele der besonders aufgeklärten, reflektierten linken Frauen auf diese Typen flogen, die sich dann wiederum haben verarschen lassen.
Bilke.
Ich finde, wenn Leute manipulativ sind, ist es nicht so, dass sich die Leute, die manipuliert werden „sich verarschen“ lassen. In allererster Linie sollten die manipulativen Leute das bleiben lassen, problem solved. Im Kontext von sexualisierter Gewalt finde ich es besonders wichtig sich nicht auf Argumentationen einzulassen, die den Betroffenen Verantwortung zuschreibt.
M.
Danke für diesen tollen Beitrag, der mich sehr interessiert, weil es um die bitch geht, aber vermutlich auch nur, weil ich halt selbst weiblich bin.
Alles richtig gesagt. Ich habe übrigens, statt mich mit irgendwem hinzusetzen und mir seine traurigen Erklärungen anzuhören, dazu entschlossen, denjenigen zu blocken, nachdem ich nach ein paar Jahren einmal klar gesagt hatte, was damals Sache war. Noch nach 10 Jahren hat er sich ohne jegliche Aufforderung meinerseits immer noch über unterschiedliche Kanäle versucht zu melden, um rum zu heulen und sich zu entschuldigen (=sich besser zu fühlen, weil er ist ja eigentlich doch ein feiner Kerl). Dabei ging es natürlich nur um ihn. Für mich persönlich war es deshalb wichtig, zu entscheiden, dass er das nicht von mir bekommt, sondern damit klar zu kommen hat, dass ich keinen Bock auf noch so marginalen Kontakt habe, der ihm das Gefühl vermitteln könnte, es sei schon ok (jedenfalls nach so langer Zeit), wie es gelaufen ist. Manchmal möchte ich den anderen Frauen, von denen es so viele gibt, deshalb auch gern sagen: Scheißt bitte auf die. Nur ganz persönlich. Keinesfalls politisch.
D.
Du hast Recht, ein Nein muss genügen.
Wenn, wie von dir beschrieben, aber nach einem Hundeblick dann ein „Ja“ kommt und er doch darf?
Was dann?
War das dann tatsächlich „sexuell übergriffiges Verhalten“ nach deinem Verständnis?
Bin ansonsten mit dem Text inhaltlich einverstanden
(wenn ich auch finde, dass es weniger ein politisches/feministisches Problem ist; es gibt einfach zu viele Arschlöcher),
aber diesen Punkt musste ich ansprechen.
Im übrigen ist es, auch wenn manche das, wie ich dem Ende deines Textes entnehme, anders sehen, IMMER falsch, den Namen einer Person öffentlich zu machen, egal welchen Geschlechts.
Bilke.
Ja, das war übergriffiges Verhalten. Da sind ich und der Mensch uns übrigens einig, aber danke für deine persönliche Einschätzung. Da kann ich dann ja nochmal in mich gehen und überlegen: Hm, ein wildfremder Typ, der nicht dabei war, stellt meine Interpretation der Geschehnisse in Frage…
An deiner Stelle würde ich mich mal fragen, wieso du den Drang hast mir, mit persönlicher Ansprache und in leicht herablassender Weise, deinen Senf zu meinen Erlebnissen mitzuteilen.