Er ist es also doch geworden. Wie der Brexit dann doch kam. Alle so: MEGA ÜBERRASCHT! Ein Gutes hat das ja nun aber: Endlich nicht mehr lang und breit erklären müssen, dass wir in einer Situation sind, wo sich sehr viele bisher sehr bequeme Leute auch mal aufmachen müssen, irgendetwas für all die behaupteten Werte und Freiheiten zu tun, die ein immer noch relativ freies Leben für ziemlich viele Leute in den offiziell theoretisch und faktisch mehr oder weniger demokratischen Ländern bedeuten. Und nicht einfach warten, bis die anderen das machen. Ein paar Gedanken aus der gutmenschlichen Theoriehütte am Hang:
1. Ironie, hahaha, hehehe, huhuhu
Joa, dann kommt halt auch mal ein maßgeblich von Neonazis, KKK-Leuten und anderen Sympathen unterstützter Mann – der sich davon nie distanziert hat – mit etlichen anhängenden Gerichtsverfahren (z.B. wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer 13jährigen, das ist überhaupt nicht die einzige Frau, die Dementsprechendes sagt und es ist beileibe gut vorstellbar, dass Trump halt alles, was er so z.B an sexistischen Dingen sagt, auch so gemeint hat) an eine äußerst mächtige Position. Ein Rassist, ein Sexist, ein Antisemit, ein Alptraum.
Und sein Vizepräsident ist ein Holocaustleugner (falsch, das war der designierte VP von Jill Stein, der Kandidatin der Green Party). Der Ku-Klux-Klan demnächst im Supreme Court? Alles vorstellbar, hm? Und alles, was euch einfällt, sind ironische Witze? Der Tweet hier drüber ist gar nicht ironisch, sondern voller Ernst, aber ihr wisst, was gemeint ist. Dauerironie aus Feigheit, eine wirkliche Haltung zu entwickeln und diese klar zu kommunizieren. Einer der sicher vielleicht von Trump aufgehetzten „Second Amendment people“ hat den Ideen Taten folgen lassen und an einem Wahllokal auf Wähler_innen geschossen. Soll das jetzt Alltag werden? Nichts gegen Sarkasmus, irgendwie muss man ja als klar denkender Mensch auch psychisch überleben in diesen Zeiten des Wahnsinns. Aber wenn das alles ist, dann gute Nacht. Dann tut nicht so politisch. Wenn euch nicht mehr einfällt, als Rechtschreibfehler zu skandalisieren oder das Aussehen von Leuten zu bewerten statt ihnen ernsthaft politisch zu begegnen, dann tut halt auch nicht so politisch. Euch geht’s dann offenbar zu gut, den Luxus haben aber nicht alle. Für ausschließlich ironische, ewig coole, distanzierte Statements ist es halt etwas spät.
2. Die bösen, dummen USA
Ja, da ist einiges kaputt im land of the free. Aber hä, habt ihr euch ein einziges Mal ähnlich darüber empört, dass der NSU-Prozess so schleppend verläuft, die Bundesanwaltschaft Akten vernichtet, mauert, Zeugen am laufenden Band sterben, der KKK in Baden-Württemberg von Polizisten gegründet wurde, de Maizière nach Afghanistan abschieben lässt, Til Schweiger hierzulande Millionen Menschen ins Kino bringt und Mario Barth sowas wie die Blaupause für deutschen Humor ist? Die Mauer, die Trump bauen wollte, die gibt es im Mittelmeer und an der türkischen Grenze. Dort sterben zehntausende Menschen. Weil CDU und SPD das so wollen (und das Asylpaket II wurde nicht von der AfD verabschiedet). Also mal schön den Ball flach halten und, statt nur mit dem Finger zu zeigen, vor der eigenen Tür kehren. Wer das tut, kann sich ja dann auch etwas glaubwürdiger äußern.
3. Panik, Apokalypse
Nö. Ja, es ist extrem abgefuckt. Aber erstens wird es noch viel viel schlimmer werden, wenn nicht mal mehr Leute checken, was sie an prinzipiellen, universellen Grundrechten schon haben, die sie gefälligst auch verteidigen müssen. Wenn es dumm läuft, werden wir mal auf 2016 zurückblicken und nostalgisch seufzen, wie schön damals alles noch war.
Zweitens sind diese prinzipiell verkündigten Grundrechte halt in der Realität doch sehr weit weg von der vollkommenen Realisierung. Es sind Ideale, die doch ziemlich gut sind, ganz grundsätzlich. Aber sie werden immer noch Millionen, sogar Milliarden Menschen verwehrt. Wer arm ist, hat de facto nicht dieselben Rechte. Frauen halt auch nicht, ganz real. Schwarze sehr oft auch nicht, alle, die als nicht weiß definiert werden, sehr oft auch nicht. Wenn ihr jetzt Panik kriegt, weil z.B. Trump sowas von gar nicht klargeht, überlegt euch mal, wie es sich für die Familie Şimşek wohl angefühlt hat, nach der Ermordung von Enver Şimşek durch den NSU jahrelang von der Polizei verdächtigt und schikaniert zu werden, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein. Oder wie es sich anfühlt, wenn der spätere Kanzlerkandidat Edmund Stoiber sagt, die doppelte Staatsbürgerschaft sei bedrohlicher als die RAF. Und es hat niemanden so arg gejuckt, er ist Kandidat und fast Kanzler geworden.
Helmut Kohl war 16 Jahre Kanzler in diesem Deutschland und nachdem Nazis 1992 bei einem Anschlag die beiden Mädchen Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz sowie ihre 51-jährige Großmutter Bahide Arslan töteten sowie weitere schwer verletzten, sagte der „Kanzler der Einheit“ die Teilnahme an einer Trauerfeier ab, weil er nicht für „Beileidstourismus“ zu haben sei.
Wenn ihr nun mit Präsident Trump zum ersten Mal eine ernsthafte Bedrohung kommen seht, solltet ihr euch zumindest bewusst sein, dass das Gefühl, dass der Staat von zynischen Menschenfeinden in viel zu mächtigen Positionen besetzt ist, für sehr sehr viele Menschen schon ihr Leben lang existiert. Das heißt nicht, dass wir nicht dagegen kämpfen sollen. Wir müssen. Aber es ist schon sinnvoll, mit allen und für alle zu kämpfen, wenn wir es ernstmeinen. Und dafür muss man sich schon auch damit beschäftigen, wie denn die Perspektive der anderen so ganz allgemein ist.
Drittens: Panik bringt gar nichts. Also können wir sie sie auch sein lassen. Nicht jammern, kämpfen! Verbündet euch, helft einander, los geht’s.
4. Was tun?
Wenn ihr nicht wisst, wieso Leute, die ihr Leben lang schon diskriminiert wurden, jetzt eventuell gar mit den Achseln zucken: Fragt mal nach. Wessen Familienmitglieder gerade in der Türkei von der Polizei gefoltert werden, hat vielleicht eine andere Perspektive auf die Welt als Leute, deren schlimmstes Erlebnis war, dass sie im ersten Versuch durch die Führerscheinprüfung gefallen sind.
Bildet euch. Beschäftigt euch mit der Neuen Rechten, mit der Querfront, dem Rechtspopulismus, Islamismus und was es sonst noch so gibt an Themen, die nicht vom Ignorieren weggehen. Schließt euch der Antifa an, geht zu feministischen Vernetzungsveranstaltungen, bringt euch ein.
Und mit einer grundsätzlich nur defensiven Haltung werden wir gar nichts verteidigen und der Idee einer offenen Gesellschaft auch nicht näherkommen. Die ist nicht schon da und wird nun bedroht, nein. Es gibt Erfolge und Trump ist u.a. eine abwehrende Antwort auf die Erfolge von sozialen Bewegungen, die es geschafft haben, dass viele Leute nicht mehr nur erdulden, was ihnen widerfährt, sondern teilweise sogar erfolgreich dagegen ankämpfen.
Aber wirklich offen sind unsere Gesellschaften allzu oft noch nicht. Wir müssen daher in den Angriff übergehen und für diese Ideen der offenen Gesellschaft kämpfen. Rassismus nicht ignorieren, sondern attackieren. Eine Haltung entwickeln, die unmissverständlich klarmacht, dass wir nicht mehr hinnehmen, dass Vergewaltigungswitze als normal durchgehen, dass Grapschen halt dazugehört, dass Rassismus ein „Thema von denen“ ist. Nein, es geht uns alle an und „wir alle“ – ich meine alle Gutmenschen – müssen verdammt nochmal auch laut werden und dieses Wir mit wirklichen Menschen und Handlungen füllen.
Und ja, wir müssen auch zeigen, was gut ist, was wir eigentlich statt all den schlechten Ideen und Entwicklungen wollen. Nicht jeden Furz der AfD hochjazzen. Unsere eigene Agenda finden. Die heißt z.B. hier Gutmenschlichkeit. Das Leben ist schön, es muss für alle schön sein können! Wie machen wir das? Lasst uns reden, darüber nachdenken und auch streiten. Es geht nicht ohne Streit, das ist aber auch nicht schlimm, solange wir uns grundsätzlich einig sind, dass wir eine gerechte Welt für alle Menschen im Blick haben. Lasst uns mit denen sprechen, die verunsichert sind, nicht zu denen, die hassen. Lasst uns uns gegenseitig unterstützen. Es gibt viel zu tun. Es wäre an der Zeit, dass mal einige Leute ihren Arsch hochkriegen. Denn wir dürfen nicht mehr warten, bis nichts mehr zu machen ist.
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