Am 18.11.2016 bringt der Leipziger Rapper Sayes seine erste Solo-EP „Nicht nur vielleicht“ heraus. Für FICKO beantwortet er, wie sich die Platte im Verhältnis von Rap und Politik verortet.
FICKO: Die erste Single-Auskopplung deiner EP ist „Ansage Aussage“. Textlich fühlt sich der Track ein bisschen wie der Methodenteil einer Hausarbeit an. Du erklärst erstmal, wie du bei deiner Musik eigentlich vorgehst. Warum sahst du dafür eine Notwendigkeit?
Sayes: „Ansage Aussage“ ist für mich eine Klarstellung gegenüber Rap und auch ein Wunsch an Rap. Ich verlange nach Inhalten, statt beliebig austauschbaren Zeilen. Zwar ist Inhalt für die eine Person etwas Anderes als für eine andere, aber in meiner Wahrnehmung hat sich ein großer Teil des deutschsprachigen Rap dahin entwickelt – fast schon bewusst – keinem roten Faden zu folgen oder einen Inhalt zu bedienen. Es geht nur noch um Zeilen, einzelne Sprüche oder Assoziationsketten, die aber nach ein paar Zeilen verworfen werden. Diese Ansage soll bewusst Menschen zu nahetreten, aber vor allem dazu auffordern mir gerne zu widersprechen. Ich selbst habe auch in den letzten Jahren viel an guten Rap für mich gefunden und das will ich auch benennen. Dennoch stör ich mich auch an vielen Haltungen die diese Szene mit sich bringt. Erstens wäre da die Überheblichkeit zu nennen, die einige rappende Akteure an den Tag legen, nur weil sie mal ein paar Wörter auf den Takt gerappt haben.
Ich gebe häufig Rap-Workshops und finde es großartig diese Art der Kommunikation mit anderen zu teilen. Genau deswegen kann ich auch sagen, dass Rappen keine Zauberei ist. Ganz im Gegenteil, Rap ist leicht zu erlernen. Schwer ist es eben, mit Rap auch was zu sagen. Und darum geht es mir. Die zweite Haltung, die ich von einigen Rapper*innen wahrnehmen darf, ist der Wunsch sich auf die Bühne zu stellen und meist Kritik an irgendwas auf der Welt zu verbreiten, aber gleichzeitig auf Feedback und Kritik an den eigenen Songs nicht zu reagieren, oder sich mit der Definition als „Künstler*in“ in eine höhere Position stellen zu wollen um nicht reagieren zu müssen. Besonders häufig passiert das, wenn Rap diskriminierende Elemente in sich hat. Ich kann das nicht verstehen. In Rap geht es doch um Eloquenz und um Kreativität, aber noch immer dreht sich viel im Rap darum, Menschen zu erniedrigen.
Mit der Platte suche ich meine erste Position in dieser ganzen großen Rapszene und will gleich klarstellen, wovon ich mich distanziere bzw. hoffe auch auf Rückmeldung von Gleichgesinnten. Gleichzeitig ist das wohl auch so ein Rapper*innen-Ding, dass erstmal klargestellt wird: Das bin ich, das ist der Rap, den ich gut finde und der Rest ist whack.
Gerade bei der ersten Auskopplung rappst du eher darüber, wie du Position beziehen würdest, ohne aber Position zu beziehen (von der Abgrenzung gegenüber bestimmte Ismen abgesehen). Warum?
Meine Ansage heißt Aussage. Position beziehen heißt für mich damit nicht, dass eine exakte und allumfassende Stellungnahme zu allem auf der Welt zu tätigen ist. Den Versuch finde ich zwar interessant, aber eigentlich wünsche ich mir zumindest einen wachsenden Austausch, mehr Auseinandersetzungen und Diskursführungen im Rap zum Weltgeschehen.
Ich mache vielleicht keine eindeutig lesbaren politischen Position klar, aber sehe in vielen Songs eine Mischung aus persönlichen und gesellschaftlichen Positionen, die ich benenne. Da verneine ich beispielsweise den Heimatbegriff in dem Song „Pendler“ oder kritisiere zwischen den Zeilen die leistungsorientierte Vorstellung von lächelnden Macher-Menschen im Song „Sonnenstich“. Am deutlichsten ist vielleicht der Song „laute Helden“ der auch eine gute Antwort auf die Frage bietet. Ich wünsche mir Positionierungen und Aussagen dazu, gleichzeitig maße ich mir nicht an, meine Positionierung als komplett richtig anzusehen, sondern mag sie hinterfragen und genau dafür benötige ich Rückkopplung mit anderen Menschen. Ich will auch zuhören, deswegen auch die Ansage an andere Rapper*innen. Klar, freue ich mich, das Mikrophon zu halten, aber ich gebe es auch gern ab und will interagieren und kommunizieren und befürworte Nicht-Sichtbares auf Bühnen sichtbar zu machen. Ich beziehe Position, manchmal vielleicht zu sehr zwischen den Zeilen, aber spätestens Live wird das deutlich.
Du bist auffällig unpolitischer als sonst. Zumindest im Vergleich zu deiner Tätigkeit bei Rana Esculenta, zum Beispiel. Hat das einen Grund?
Ich bin nicht so explizit politisch auf der Platte, politisch bleibe ich. Bei Rana Esculenta sind wir seit längerer Zeit zu viert am werkeln, haben viele neue Songs im Anschlag und haben uns auch mit unseren alten Songs kritisch auseinandergesetzt. Es geht um eine Entwicklung, die wir gerade machen und mit unserem eigenen Anspruch, mit weniger Plakativität, dennoch klar und explizit zu bleiben. 2017 ist da eine Scheibe geplant und mit meiner Soloplatte will ich mich da schon etwas anders ausprobieren und auch deutlich machen: Das ist Sayes und das ist Rana. Natürlich schreibt und rappt auch Sayes bei Rana Esculenta, aber er schreibt vielleicht etwas anders und über andere Themen.
Viele politische Themen, die mich zurzeit beschäftigen sind aktuell mit Rana Esculenta in Bearbeitung und das tut auch verdammt gut. Denn hätte ich sie alleine bearbeitet, würde ich in dem historischen Hintergrund, den wir gerade durchleben, eher depressive Songs schreiben. In der Crew gibt es eine angenehme Arbeit miteinander und die perfekte Möglichkeit durch Diskussionen auch die Perspektive zu wechseln. Mir fehlt es zwar im Hinblick auch auf meinen eigenen Anspruch, endlich mal einen politischen Standpunkt zu beziehen als Sayes, weil gerade so viel passiert, aber ich bin auch froh mir da Zeit zu lassen und vielleicht auch anders agieren zu können.
„Nicht nur vielleicht“ thematisiert aber sehr viele Prozesse die weniger explizit, als implizit politisch sind. Der Song „ausgebrannt“ entstand beispielsweise in einer Zeit, wo sehr viel um mich herum passierte und ich bei Berichten von hunderten Toten im Mittelmeer und einer gleichzeitig kaum Bemerkten Asylgesetzverschärfung meine Ohnmacht wachsen sah.
Die Platte ist deine erste EP als Solokünstler. Davor warst du gerade für deine Arbeit in Kollektiven bekannt. Welcher Prozess lief denn für dich fluffiger: Innerhalb von Kollektiven zu arbeiten, aber dabei immer alles zerreden zu müssen? Oder allein zu arbeiten und somit die vollständige Kontrolle über das eigene Werk zu haben, aber dafür auch auf sich allein gestellt zu sein?
Schon sehr lange habe ich auf eine Solo-Scheibe hingearbeitet um komplett ich zu sein und weil ich dachte, dass ich da keine Kompromisse eingehen muss bzw. längere Diskussion führen muss um zu einem Konsens zu kommen. Kompromisse zu machen, ist wohl einer meiner Gründe, warum meine vergangenen Musikprojekte aktuell keinen Bestand haben. Mit Rana haben wir vier eine gute Form gefunden auf ein gemeinsames Level zu kommen und konsensfähig zu sein. Das hängt aber alleine schon von der Anzahl der Menschen ab. Es ist einfach ein großer Unterschied, ob eine Band aus neun Menschen wie frühere Musikprojekte oder aus vier wie bei Rana Esculenta besteht.
Komplett allein zu arbeiten, war für mich zwar befreiend, weil ich mich auf mich konzentrieren konnte, aber gleichzeitig kann ich gar nicht alleine Musik machen. Ich habe mich aufs Texteschreiben eingeschossen, Beats bauen kann ich nicht und überlasse das lieber anderen Menschen. Doch nur einen Beat zu wählen und dann einen Text darüber zu legen, passt mir auch nicht so richtig in den Kram. Da solle schon noch einmal kleine Anpassungen passieren, damit Text, Flow und Beat zu einem Musikstück werden. Zusätzlich bin ich ein großer Freund von Cuts. Früher absolut selbstverständlich und heutzutage nur in Nischen von Rap noch zu hören.
Als kleines Konzept der EP stand auch im Raum, dass jeder Beat von jemand anderen produziert wird um mich in der Vielfältigkeit von Beats und Flows auszuprobieren. Insgesamt sind also acht Menschen an der Beatproduktion und vier Menschen an den Cuts tätig gewesen. Die Aufnahme, das Master, das Design, Fotoshootings, Videodrehs und wer sonst noch alles für die Entstehung der Platte verantwortlich ist, da kann ich gar nicht davon reden, das alleine gemacht zu haben. Ich habe zwar alleine die Verantwortung und die Entscheidungsgewalt, aber dennoch gab es viele gemeinsame musikalische Schritte mit anderen und darüber bin ich sehr froh. Denn so entstand die erste Sayes-Platte, die hiermit sagen kann: „Hallo, das bin ich…“