DeiGsicht hat auch Schmerzen – Von Schmerzensmännern und Menschen

Oh Nein. Eine Frau, die sich über diese Softimänner beschwert. Keine richtigen Männer mehr, damals war das alles anders. Und anders ist natürlich besser, aber nur wenn es damals anders war. Heute anders ist nicht gut.<!–more–>

Nina Pauer hat gestern auf ZeitOnline einen Text namens „<a href=“http://www.zeit.de/2012/02/Maenner/komplettansicht“ target=“_blank“>Die Schmerzensmänner</a>“ veröffentlicht, in dem sie sich über Männer beschwert, die Bärte tragen und mit sich selbst beschäftigt sind, außerdem Gitarre spielen, vor dem ersten Kuss fragen und überhaupt für Frauen zum Problem werden. Ich muss sagen, dass ich einige der angesprochenen Verhaltensweisen durchaus auch an mir feststellen kann. Leider muss ich ansonsten feststellen, dass sie Blödsinn schreibt.

Ihr Hauptproblem, das sind die Männer, die verunsichert sind von der Ablösung des alten Männerbildes, in welchem ein Menschwesen, das umstandslos im Stehen pissen kann, auch automatisch Bierflaschen isst und Dinge so richtig machend anpackt. Nun, da das nicht mehr gilt und Vergewaltigung in der Ehe sogar bestraft wird, fallen anscheinend alle Männer in ein Loch. WOHIN NUR MIT ALL DER MÄNNLICHKEIT, WENN ICH NICHT MAL MEHR ZUSCHLAGEN DARF? Während die Frau daneben steht und darauf wartet, dass endlich etwas passiert. Das Gefühl, die Autorin betreibe philosophisch furchtbar unzulässige ad-hoc-Induktion und verallgemeinere ihre persönliche Faulheit, selbst mal aus dem Arsch zu kommen, auf die Männerwelt, beschleicht einen bei der Lektüre nicht mal mehr, es springt einen an wie ein ralliger Eber im Trenchcoat. Das war jetzt ein schiefes Bild, es tut mir ein bisschen leid.

Darum nun ganz ernsthaft: Hääää?
<blockquote>“Er achtet auf sich, ist höflich, lieb, immer gepflegt und gewaschen, benutzt Parfums und Cremes, macht Diäten und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik. Nur wenn der entscheidende <em>move</em> gefragt ist, er sich herüberbeugen und die junge Frau endlich küssen sollte, fängt sein Kopfkino an. Vielleicht möchte die junge Frau gar nicht geküsst werden? Vielleicht würde sie sonst selber den ersten Schritt tun? Vielleicht sollte man die Beziehung lieber doch nicht auf die gefährliche Ebene der Erotik ziehen, sondern platonisch belassen? »Ich gebe zu, dass ich dich mag«, singt es schließlich vom Mixtape, das er seiner Angebeteten aufnimmt, anstatt den ersten Schritt zu wagen. Schön klingt es, ungelenk kommt es an.“</blockquote>
Soso, der entscheidende move also. Frau Pauer ärgert sich also allen Ernstes darüber, dass es mittlerweile passieren kann, dass jemand vor dem Küssen fragt. Was denn sonst? Ja, es mag einige Situationen geben, in denen man sich einig ist und auch nonverbal alles Wichtige ausgehandelt hat. Aber im Prinzip ist ein Kuss ja zumindest höchstwahrscheinlich eine relativ intime Angelegenheit, da sollte man sich schon vergewissert haben, dass man den/die andereN nicht überfällt. Man muss halt schlau sein und es gut formulieren. Eine Bekannte hat mir vor ein paar Jahren mal ungefragt an meinen Brustmuskel gefasst und gesagt, ich solle mal anspannen. Ich war jetzt nicht am Boden zerstört, es wurmte mich aber doch, da sie dasselbe bei sich bestimmt nicht so locker genommen hätte. Es passiert mir auch immer wieder, dass (nur) Frauen meinen, mich schlagen zu dürfen. Auf den Kopf, in den Bauch etc. Männer tun das bemerkenswerterweise nicht. Das passiert in der Regel auf Parties, sie sind manchmal betrunken und wollen mir irgendetwas wegnehmen, was ich ihnen aber nicht gebe. Dann schlagen sie zu. Das sind aggressive Akte und ich muss mit mühsam unterdrücktem Zorn darauf hinweisen, dass sie das gefälligst besser unterlassen. Ich werde auch bestimmt eines Tages zurückschlagen, ich habe ein sehr ausgeprägtes Körperempfinden, was Prügel angeht. In diesem Sinne: Hahlär at the Selbstbestimmungsrecht. Und wenn du die Person nicht sehr gut kennst und weißt, dass das klargeht, dann vielleicht <em>nicht</em> einfach irgendwelche Dinge tun. Ob es jetzt ein Kuss oder ein Schlag ins Gesicht ist.

Ich frage mich nun auch tatsächlich, wie es dazu kommt, dass im gesamten Text nicht einmal die Idee hervorblitzt, auch die Frau könnte irgendwie tätig werden, wenn sie Interesse hat. Haben Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte feministischer Kämpfe absolut keinen Eindruck bei der Autorin hinterlassen? Die Frau muss auf den Mann warten, der die ganze scheiß Arbeit erledigen soll, ernsthaft? Zum Glück ist das in echt ja nicht so, jedenfalls nicht überall, wenn auch für meinen Geschmack noch zu oft. Um es also explizit zu sagen: Ja, wär schon geil, wenn es Standard wäre, dass alle Interessierten das einfach signalisieren können, Frauen wie Männner/Transgender usw. Und zwar nicht nur signalisieren, wie das eine Freundin macht, die meint, dass sie nur schauen und starren muss, irgendwann kommt er dann halt an. Oder eine andere Freundin, die einmal schrieb „Girls are like apples on trees. The best ones are at the top of the tree. The boys don’t want to reach for the good ones because they are afraid of falling and getting hurt. Instead, they just get the rotten apples from the ground that aren’t as good, but easy. So the apples at the top think something is wrong with them, when in reality, they’re amazing. They just have to wait for the right boys.“ Welch gruseliges Geschlechterbild. Ich habe nun doch nochmal nachgeschaut und herausgefunden, dass das ein Zitat von <a href=“http://www.goodreads.com/author/quotes/1267442.Pete_Wentz“ target=“_blank“>Pete Wentz</a> ist. Immer noch äußerst gruselig. Frauen müssen rumsitzen/rumhängen und auf den Prinzen warten, der sie pflückt. Ich glaub es hackt. Man muss doch nicht schon wieder künstlich Gräben aufreißen, wo gar keine sein müssen. Also Frau Pauer: Lieber schön selbst an die Nase fassen und ruhig auch einfach mal küssen und dann zu Recht die Ohrfeigen abholen.

Und zum Thema Mädchenmusik: Mädchenmusik ist voll geil, weil Mädchen = toll + Musik = toll. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem ich nicht mehr aus vollem Halse A silver Mt. Zion mitsingen darf, weil irgendwelche hirnverbrannten Sackgesichter mir meine „Männlichkeit“ absprechen. Ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem mein Geschlecht mir vorschreibt, wie ich mich zu verhalten habe und wenn ich abweiche, werde ich komisch angeschaut. Weder will ich von den Höhöficken-Männern dumm angemacht werden, weil ich einen Fihack auf heteronormative Fickscheiße gebe noch von Frauen, weil ich nicht einsehe, dass es mir als Mann nicht zusteht, Dinge zu tun, die angeblich Frauen vorbehalten sind (z.B. Weinen oder Nagellack). Abgesehen von meinen Freunden aus der Heimat sind fast alle meiner besten Freunde Freundinnen. Ich komme mit Frauen besser klar und zwar mit Frauen, die mit Männern besser klarkommen. Die schlimmsten Menschen sind die richtigen Männer und die richtigen Frauen.

Es ist mir leider nicht neu, aber ich muss mit dem Paradoxon leben, ständig wutentbrannt und mitunter sehr aggressiv darauf zu beharren, dass auch ich als Mann ein Recht darauf habe, nicht wutentbrannt und aggressiv zu sein, sondern scheißdeprimiert, getroffen und verletzt. Ich bin ein sehr empfindlicher Mensch und mir wird permanent erzählt, das sei mein Fehler. Dass es mein Problem ist, habe ich durchaus erkannt, aber ich kann nicht einsehen, dass die Arschgeigen dieser Welt nun mal eben so sind und ich mich damit abfinden muss. Ein Hoch auf die Zivilisierung! Wir brauchen dieses Männerbild gar nicht mehr, wir brauchen auch dieses Frauenbild nicht mehr. Ehrlich gesagt haben wir es noch nie so wirklich gebraucht, de facto hat es Millionen Leben zerstört. Also was solls? Frauen, wartet nicht auf die Männer oder wen ihr sonst toll findet. Kriegt euren Arsch hoch! Oh Wunder, vielleicht ist es ja auch bei Frauen nicht gar so attraktiv, wenn sie sich ständig zu Tode reflektieren, ihren Mund nicht aufmachen können, sich keine Gedanken darüber machen, was sie wollen und ständig nur rumheulen. Man muss nicht ständig auf den Geschlechtern rumreiten, anstrengendes Verhalten ist geschlechtsunabhängig anstrengend. Und die Männer glauben hoffentlich nicht, dass Frau Pauer irgendwie mehr als sich selbst repräsentiert. Klar, sich mitzuteilen ist oft hilfreich. Schüchterne haben es immer schwer, nicht nur in Liebesdingen, da aber natürlich noch mehr. Aber was bleibt denn sonst übrig außer sich einfach mal in das Abenteuer zu stürzen und Bescheid zu geben:

„Halloho! Mich gibt es. Und dass es Dich gibt, finde ich gut. Willst Du

a) mit mir spazieren gehen?

b) Drachen steigen lassen?

c) mir grad mal kurz beim Holz hacken helfen?“

Wenn nicht, Pech. So ist das Leben und man spart sich das wochenlange Bangen. Natürlich wird man verletzt, man wird immer verletzt. Die meisten Menschen sind halt nun mal nicht so schlau und nicht so rücksichtsvoll. Aber wenn man es nicht trotzdem probiert, kann es ja kaum besser werden. Keine Angst, es ist nur das Leben.

<span style=“font-size: x-small;“>Sehr viel seriöser als ich hat <a href=“http://faz-community.faz.net/blogs/allerseelen/archive/2012/01/07/richtig-kuessen-frau-pauer.aspx“ target=“_blank“>Julia Seeliger</a> auch geantwortet.</span>

Update:

Auch sehr schlau: <a href=“http://liebeundschnaps.de/58/ach-frau-pauer-er-fickt-nicht/“>Liebe &amp; Schnaps</a>.

Auch sehr schlau: <a href=“http://ktinka.de/2012/01/re-die-schmerzensmanner-ein-kommentar/“ target=“_blank“>Katinka</a>.

Auch sehr schlau: <a href=“http://ninialagrande.blogspot.com/2012/01/die-schmerzensfrau-eine-antwort-frau.html“ target=“_blank“>Ninia LaGrande</a>.

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