ein Gastbeitrag von Verda Schreiber
Schon im Alter von zehn Jahren kam ich in die Pubertät. War ich als Kind eher der Typ „Bohnenstange“ gewesen, wuchsen mir mit Beginn der Periode plötzlich Brüste und dicke Schenkel und Hüften. Schmerzen hat man mit „Wachstumsschüben“ abgetan und auch später auftretende Schmerzen schoben selbst meine Ärzt*innen auf psychische Instabilität. Jede*r Heranwachsende*r kennt dieses seltsame Gefühl, plötzlich einen „neuen“ Körper zu haben und gleichzeitig einen ungewohnten Platz in der Gesellschaft eingenommen werden. Wir jungen Frauen werden sexualisiert und besonders die mit dicken Körperformen haben und hatten es nicht leicht. Weil ich aber ein „gutes Mädchen“ sein und mich nicht ständig beschweren wollte, ignorierte ich meine Schmerzen und Wunden und glaubte lieber daran, mir das Leid einzubilden. Auch die Schuld für meine Gewichtszunahme gab ich mir selbst. Dass ich dadurch ständigem Selbstzweifel und Ängsten meiner selbst ausgesetzt bin und kein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln konnte, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen. Stattdessen bin ich seit frühester Jugend magersüchtig, kotze nach dem Essen und neige generell zu selbstschädigenden Verhaltensweisen was die Ernährung und Körperlichkeit angeht. Dazu gehört auch, dass ich schwer bepackt und mit gefüllten Taschen durch den Alltag spaziere, um durch das zusätzliche Gewicht Kalorien zu verbrennen.
Es reichte auch nicht, dass ich mich alleine verantwortlich für meine vermeintlichen Fehler machte; nein, auch mein Umfeld nahm das wahr. So wurde ich selbst innerhalb meiner Familie zum Prellbock und übte exzessive, permanente und völlig übersteigerte Selbstkritik.
Erst seit fünf Jahren weiß ich, dass ich mir meine Schmerzen nicht einbilde und kann mit therapeutischer Hilfe daran arbeiten, mir selbst zu vertrauen. Ständige Begleiter sind nach wie vor meine Neurosen, mein Perfektionismus und das immer wiederkehrende Erbrechen meiner Mahlzeiten.
Die Diagnose „Lipödem“ war einerseits eine dringend benötigte Bestätigung, dass ich nicht Schuld bin; andererseits musste ich erfahren, wie frauenfeindlich unser Gesundheitssystem ist. Nach Schätzungen von Spezialist*innen leidet fast jede zehnte Frau im Laufe des Lebens an dieser schmerzhaften Fettverteilungsstörung. Man vermutet, dass hormonelle Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft oder die Menopause Auslöser dafür sind. Bekämpft man frühzeitig mit einer Liposuktion diese Erkrankung, kann einer deutlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands entgegengewirkt werden. Die Liposuktion gilt jedoch als klassische Schönheitsoperation, bei der die erkrankten Fettzellen entfernt werden. Anerkannte, konservative Behandlungsmethoden, wie die wissenschaftlich fragwürdigen Lymphdrainagen und das Tragen von Kompressionsstrümpfen, werden teilweise von den Krankenkassen übernommen. Obwohl Frauen keine Besserung und deutliche Einschränkungen im Alltag erfahren, die Symptome nicht bekämpft werden und die konservative Therapiemethoden sehr aufwändig und kostspielig sind, wird daran festgehalten.
Darüber hinaus werfe ich den Krankenkassen vor, darauf zu hoffen, dass betroffene Patientinnen irgendwann aufgeben, um somit Kosten zu sparen. Zynisch formuliert könnte fast angenommen werden, die Krankenkassen kalkulierten einen gewissen Prozentsatz an Frauen, welche durch die Krankheit und ihr Folgen den Tod finden, ein. In der Öffentlichkeit wird die Liposuktion bei Lipödem als „Fettabsaugung für Frauen“ betitelt. Somit erhalten wir wenig Verständnis von der breiten Öffentlichkeit, werden wieder mit unserem Leid allein gelassen und auf sexistische Vorstellungen von weiblicher Eitelkeit zurückgeworfen. Seit Anfang des Jahres werden in Ausnahmefällen befristet bis 2024 Liposuktionen bei Betroffenen der Stufe 3, bei den sogenannten „Elefantenbeinen“, übernommen, wenn die Frauen einen BMI von unter 35 haben – das ist quasi unmöglich. Gleichzeitig wurde uns dadurch das Verfahren, gegen die Entscheidungen der Krankenkassen zu klagen, endgültig genommen.
Ich selbst bin bei Stufe 2 und unglücklicherweise sind nicht nur meine Beine, sondern auch Arme, der untere Teil des Bauchs und des Rückens, sowie der Po und die Hüften betroffen. Seit Monaten bin ich arbeitsunfähig und werde es wohl auch länger bleiben. Meine finanzielle Situation ist katastrophal und ich falle bald aus dem Krankengeld, höchstwahrscheinlich direkt in das ALG2 und werde somit meine Wohnung verlieren, in der ich mich das erste Mal wirklich Zu Hause fühle.
Glücklicherweise habe ich einen festen Kreis von Freund*innen, die mich unterstützen und mich davon überzeugt haben, Geld für meine dringend benötigten Operationen zu sammeln. Ich bitte euch, mehr Verständnis für das Leiden Betroffener aufzubringen, meinen Spendenaufruf zu teilen und zu spenden. Auch nach den Operationen werde ich weiter für die Anerkennung der Liposuktion bei Lipödem kämpfen.
Bitte spendet und teilt! Der Link zu meinem Aufruf https://gf.me/u/x7wj6j Frauenfeindliche Gesundheitspolitik – Meine Geschichte: Lipödem