Moabit hilft e.V. – Gutmenschlichkeit in bester Praxis

Der Verein „Moabit hilft e.V.“ sammelt Spenden, um die unabhängige, für deutsche Behörden oft unbequeme und erfolgreiche Lobbyarbeit für Menschenrechte und ganz konkret geflüchtete Menschen fortsetzen zu können. Die Kampagne läuft noch bis 30.4.2018. 

Das seit Sommer 2015 berüchtigte LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in der Mitte von Moabit sieht 2018 eher nach einem Park aus. Schöne Backsteingebäude, Bäume, viel Grün. Vor drei Jahren war das noch anders. Hunderte bis tausende Menschen waren über Monate hinweg der hilflosen bis unwilligen Verwaltung, überforderten und unterbezahlten Securities sowie Wind und Wetter ausgeliefert. Die Situation war schlicht katastrophal:

Als Dritte-Welt-Medizin im Herzen der deutschen Hauptstadt hat der Sprecher der Berliner Ärztekammer die Versorgung der noch nicht registrierten Flüchtlinge vor dem Lageso bezeichnet. 70 Ärzte, 67 Hebammen und 40 medizinischen Helfer arbeiten ehrenamtlich bis zum körperlichen Zusammenbruch, um Kranke zu versorgen. Seit Wochen hält dieser Zustand an, ohne dass vom Senat, dass von der Politik eine Lösung angeboten werden kann. Kälte und Dauerregen werden die Lage weiter dramatisch verschlechtern. (Tagesspiegel)

In dieser Situation war Moabit hilft die zivilgesellschaftliche Struktur, die im Verbund mit anderen mit enormem Aufwand das Schlimmste noch verhindern konnte, während der Staat sich seiner Verantwortung entzog. 2013 nach rassistischen Demos in Berlin-Hellersdorf gegründet, machte das Engagement die Organisation, die seit 2016 auch ein Verein ist, bundesweit bekannt. Wir haben bei FICKO aus der Ferne auch regelmäßig Anteil genommen, die schrecklichen Zustände einerseits und die wichtige und gute Arbeit sind Ausdruck der heutigen Zustände und lassen auch sehr praktisch sehen, was wir denn konkret tun können.

Auf dem Lageso-Gelände sitzt Moabit hilft in Haus D. Dort werden alle Kleiderspenden geordnet und gelagert, dort ist das Büro von Geschäftsführerin Christiane Beckmann, mit der ich zum Gespräch verabredet bin. Die Türen sind offen, Kinder wuseln herum und werden von den ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen und Eltern betreut, die sich unterhalten, aufräumen, mit den Kindern spielen. Es herrscht eine herzliche und robuste Atmosphäre mit viel Gelächter. Saman, einer der ehrenamtlichen Helfer aus Syrien, ruft ein Kind, das zum fünften Mal in Christianes Büro rennt und sich eine Tomate abholt, ohne eine Miene zu verziehen mit „Kinder raus aus Deutschland!“ zur Ordnung und nimmt es mit raus.

Hinter der heiteren Fassade stecken natürlich die härtesten Geschichten, die manche erst nach langer Zeit erzählen können. Der generelle Anspruch ist, dass alle so aufgenommen werden, wie sie sind. Das führt bei der Vielfalt der Fluchtgründe und Backgrounds natürlich immer wieder auch zu Reibung und Christiane erzählt im Vorgespräch, wie sie an diesen Anspruch der Rechte für alle auch immer mal mit einem lauten Ordnungsruf erinnert. Letzten Endes scheint das aber ganz gut zu funktionieren. Allein das Beispiel von Bekir lässt Raum für einiges an Hoffnung, dass wir noch in der Gesellschaft der Vielen ankommen können. Er wurde von seiner Familie in Mazedonien verstoßen, weil er schwul ist. 2016 kam er am LaGeSo an und half auch bei Moabit hilft. Am Anfang gab es blöde Sprüche und Ausgrenzung, mittlerweile kann er ohne Probleme im Kleid, mit Nagellack und Schminke im Haus unterwegs sein und einfach mitmachen. Er hat einen Job und kommt in seiner Freizeit zu Besuch. Es ist Arbeit und es dauert, aber es geht.

Das Gespräch wurde im Anschluss an das Treffen per Mail geführt.

 

Was ist momentan das drängendste Problem bei „Moabit hilft“ und wie kann man euch dabei helfen?

Soll ich gleich am Anfang mit „Geld“ anfangen? Natürlich ist es das, denn wir wollen und müssen für unsere politische Arbeit unabhängig bleiben. Das hat zur Folge, dass wir keine Förder- bzw. Projektgelder annehmen können.

Somit sind wir auf Spenden angewiesen. Und das ist leider ein wirklich leidiges und für viele langweiliges Thema. Aber Anwälte, Übernachtungen, Benzin, Gutscheine, Familienzusammenführungen, Flugtickets, Kautionen, usw kostet. Und wem eine strukturelle Veränderung auf Basis der Menschenrechte wichtig ist und unsere Arbeit wichtig findet, der/die muss dann eben Geld geben.

Wenn du also nach unseren persönlichen Herausforderungen fragst, dann ist es das und die Sicherung unseres Standortes. Seit Monaten warten wir auf die Unterstützung der BVV und des Senates, unseren Standort zu erhalten bzw. uns adäquaten Raum zu bieten. Da wir im Juni aus dem Haus D raus sollen, wird es endlich Zeit, dass man sich bekennt und uns unterstützt bei den Gesprächen mit der BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH).

Ihr habt ja einige politischen Erfolge erreicht, die nicht unbedingt allen geläufig sind. Wie habt ihr das gemacht?

Es gibt Erfolge, die wir durchkämpfen, aber ebenso gibt es Erfolge, die wir gemeinsam mit anderen erreichen. Es ist wichtig, dass wir netzwerken und unsere Ziele im Blick behalten.

Einige Beispiele:

  • Wir konnten Abschiebungen verhindern,
  • dass Geflüchtete nicht Feuerwehrrechnungen bezahlen, obwohl das LAF (damals LAGeSo) als Kostenträger zuständig ist, dieses aber über Jahre ablehnte, „weil die Menschen ja damals noch warteten und nicht registriert, sie somit die Kostenträger waren“.
  • Ebenso haben wir nach dem mehr als mangelhaften „Masterplan“ einen 16 Punkte Plan ausgearbeitet, den wir in direktem Gespräch mit der Senatorin Breitenbach und den Staatssekretären umgesetzt wissen wollen. Gerade gab es dazu eine eintägige Tagung im Rathaus Schöneberg, die offen für alle war, damit partizipiert werden kann.
  • es finden aus Berlin keine Abschiebungen nach Afghanistan statt, leider aber Kettenabschiebungen (sprich Dublin -> Abschiebung nach z.B. Finnland und dann nach Afghanistan)
  • die Kernforderung nach Qualitätsstandards für die Unterbringung von Menschen stellten wir von Anbeginn, haben immer wieder die Mängel und katastrophalen Zustände aufgezeigt, es gibt nun endlich die ersten Bemühungen, diese Standards in Berlin festzulegen. Ob das wird, auch da bleiben wir dran, wir lassen uns nicht mit warmen Worten abspeisen.
  • Es konnten sehr komplizierte Familienzusammenführungen umgesetzt werden. Ich könnte fast endlos schreiben.

Dies alles wird auf unterschiedlichsten Wegen erreicht. Wir gehen in das Abgeordnetenhaus, reden mit PolitikerInnen, geben Niederschriften mit, die als Eingabe ins Abgeordnetenhaus gehen, wir gehen in die Bezirke, die BVV, sitzen in Gremien. Wir setzen alles daran, Politik mitzugestalten.

In Berlin bzw. Deutschland steht Brandschutz über den Menschenrechten, das bekämpfen wir.

Was sind eure zentralen Ideen im Umgang mit den Menschen, die zu euch kommen?

Wir sehen uns dem Humanismus verpflichtet und der Erklärung der Menschenrechte. Daraus resultiert, dass wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Wir sind es leid, dass in Berlin eine Apartheidsgesellschaft geschaffen wird, hier wirken wir entgegen. Menschen, die zu uns kommen, müssen über ihre Rechte informiert werden und man muss sie unterstützen, diese zu erhalten.

Und was ist, wenn es mal nicht klappt? Wie werden Konflikte gelöst?

Das ist schwierig pauschal zu beantworten. Wenn wir eine Abschiebung nicht verhindern können, Pfefferspray ins Gesicht gesprüht bekommen, die Familie abgeschoben wird, die Kinder weinen oder wir von Rechts so stark bedroht sind, dass man Fotos unserer Kinder uns zusendet, das LKA unsere Adressen schützen muss, dann schwankt man zwischen Fassungslosigkeit und Wut. Die muss raus, sei es durch mal richtig viel Fahrradfahren oder mal weinen oder eben Supervision. Am Ende steht aber immer ein „Jetzt erst recht“!

Merkt ihr etwas von der Autoritären Wende in eurer täglichen Arbeit? Ist der strukturelle Rechtsruck zu spüren? 

Wir haben seit Anbeginn unserer Arbeit eine Bedrohungslage von Rechts. Das verstärkt sich, wenn wir bestimmte Posts machen oder in der Presse wieder rhetorisch Stimmung gemacht wird. Den gesellschaftlich-strukturellen Rechtsruck spüren wir genauso wie die Geflüchteten selbst. Das kann ein Sachbearbeiter bei einer Behörde sein wie auch die Bankangestellte. Genauso in der U-Bahn, wenn man erkannt wird. Aber hier ist es wichtig, entweder Dienstaufsichtsbeschwerden zu schreiben, dagegenzuhalten oder – wenn das Gegenüber es zulässt – in einen Diskurs zu gehen. Wir dürfen ihnen nicht das Feld überlassen.

Was würdest du anderen raten, die von euch inspiriert sind, etwas ähnliches zu starten? Welche grundsätzlichen Tipps hast, welche Fehler können leicht vermieden werden?  

Hmm, das ist schwierig zu sagen. Wenn es in dem Ort, der Stadt schon ähnliche Organisationen gibt, würde ich raten, macht mit, unterstützt sie. Es ist nicht sinnvoll, sich zu verzetteln. Wir müssen uns stärken. Und man muss auch nicht sofort eine Orga oder Verein gründen. Jede*r kann Dienstaufsichtsbeschwerden schreiben. Und wenn Sanktionen angedroht werden, dann wehrt man sich eben auch gegen diese. Unser Rechtssystem mag uns viele Steine in den Weg legen, aber die gleichen Steine können wir anderen in den Weg legen. Wichtig ist, man ist sicher informiert, man darf nicht mit Halbwissen agieren. Und an der Stelle ist netzwerken wichtig. Deshalb brauchen wir jetzt über Startnext Unterstützung, denn wir wurden für den Deutschen Integrationspreis nominiert. Der erste Platz, also die mit den meisten UnterstützerInnen, erhält 15.000EUR. Daher brauchen wir gute Leute, die uns 5,- EUR spenden. Somit, Leute, support!

 

Be first to comment