Wärgernweiß

Foto © Detlef Eden

Dieser Beitrag wurde von unserem Gastautor Pierre Sanoussi-Bliss verfasst. Pierre ist Schauspieler, Autor, Regisseur und wohnt in Berlin.  

Ich wär so gern… weiß! Es gibt zum Beispiel vergrippte Tage (sehr früher gab es auch noch Hangover, bei denen meine größte Sonnenbrille zu klein war), an denen ich mich ziemlich hässlich fühle und kaum Lust habe auf die Straße zu gehen, es aber muss, weil mein Magen knurrt, oder die Tabletten alle sind, oder ich denke, daß die Berliner Luft Luft Luft mir gut tut. Dann wünsche ich mich in die deutsche Leithautfarbe. Weiß!

Weiße Camouflage

Ich könnte so besser im Stadtbild zwischen den anderen Menschen verschwinden, ohne von jedem Zweiten gemustert zu werden, tiefenpsychologisch anhand meiner sterblichen Hülle versuchend zu ergründen, ob von mir irgendeine Gefahr ausgeht. Das ist zwar so seit ich denken kann, hat allerdings in letzter Zeit durch die ganze Flüchterei stark zugenommen. Schwarz? Nafri? Gürtel? Bombe? Der Platz neben mir in der vollen S-Bahn besetzt sich als letzter. Wenn ich also aus dem Haus gehe und eh schon grippebedingt scheiße aussehe, kommt weiter die Eitelkeit verletzend dazu, dass ich im Supermarkt munter mitunter von jedem noch so heruntergekommenen Depp offen taxiert werde, der kurz überlegt, ob es grad seine letzte Büchse Ravioli im Korb sein könnte, oder ob sein Geld, in Anbetracht von meinereiner, in Form einer Pulle Kleiner Feigling besser angelegt wäre. Aber für ein freundliches „Na, Alda, wohl ßu lange inne Sonne jelejen“ reicht’s dann doch schon mal noch vor dem Fluchtreflex. Nur mal nebenbei, hätte ich wirklich vor um mich zu bomben, dann würde ich das ausschließlich an Tagen tun, an denen ich gut aussehe und weder verschnupft bin, noch verkatert. Ich trüge Dolce&Gabbana, Gucci, Lagerfeld und alles, was mein Schrank hergibt. Ich ließe mich sogar zu etwas Selbstbräuner für einen strahlenderen Teint hinreißen. Man will ja bei der Auswertung der Videoüberwachung nicht enttäuschen. Schon gar nicht als diplomierter Schauspieler mit Hochschulabschluss.

Einmal in Ruhe (…) können

Was auch großartig wäre, wär ich weiß, ist, mal ein großes Kaufhaus betreten zu können, ohne daß der hauseigene Detektiv sich sofort an mich ranhängt, um in angemessenem Abstand zu mir mit mir die Etagen zu durchstreifen. Als Kind wollte ich immer ohne Mutti einkaufen gehen. Als ich dann endlich alt genug dazu war, kamen, menno, die Detektive. Betreutes Shoppen ein Leben lang. Hab in großen Kaufhäusern übrigens noch nie einen schwarzen Hausdetektiv gesehen (ich spreche nicht von offensichtlicher Security). Wohl zu auffällig. Ist aber ein Denkfehler. Oder würden Sie darauf kommen, dass der Schwarze, der neben Ihnen grade an der teuren Bio-Seife schnüffelt, ein Detektiv ist, wenn Sie den Parfümflakon in Ihre Tasche gleiten lassen? Als ich meine Wohnung vor ca 20 Jahren komplett neu einrichten wollte, erlaubte ich mir feierlich ein überikeales Budget und zog los. Berlin-Mitte hat herrliche Läden, um sein Geld in Form von Schränkchen, Sesseln, Tischen und Schnickschnack verlieren zu könnenswollendürfen. Ich betrat einen der jenen und sofort schwebte mir eine mittelalte Möbelschwuppe (sagt man eigentlich noch „Möbel“?) entgegen, musterte mich und plapperte hölzern: „Ich glaube nicht, daß man Ihnen hier helfen kann“. Ich trug Prada! Lächelnd knurrte ich kurz: „Fick dich“ und ging woanders kaufrauschen. Stunden später betrat ich den Möbelschwuppenladen nochmal und legte Ihmchen Quittungskopien für Möbel in Höhe von 18.000 DM auf den Tisch, die ich an diesem Nachmittag verjubelt hatte. „Hätte dein Umsatz sein können, Froindchen“, sagte ich und verließ den Laden, nicht ohne auf dem Weg nach draußen eine völlig überteuerte Lampe zu begutachten, mitleidig schmunzelnd natürlich und mich ärgernd, hinten keine Augen zu haben, um seine Reaktion sehen zu können. You can’t always get what you want. In weiß passierten mir nicht Sachen solcherart, dass ich mich beim Einchecken im Hotel 5 Minuten total nett mit der Hotellerine unterhalte, um dann auf dem Weg zum Fahrstuhl wie von einem Pfeil mit dem Satz „Und grüßen sie mal die Heidi von mir!“ in den Rücken getroffen zu werden. Nein, ich kenne weder die Klum, noch bin ich Bruce Darnell. Ich heiße nicht wie er und rede nicht wie er, was man in den vergangenen 5 Minuten durchaus beim Ein- auch hätte checken können, während man „Sanoussi-Bliss“ in den Computer tippt. Und ich habe auch keine lebende Handtasche, was ich allerdings in diesem Moment bereue, weil ich mir die spitzen Schreie der Hotellerine vorstelle, die versucht die Louis V von ihrem Hosenbein zu kriegen, in das die sich verbissen hat. Drama, Baby!

Persilweiße deutsche Fernsehlandschaft

Und auch beruflich wäre ich weiß besser dran. Schauen Sie noch deutsches Fernsehen? Ich stelle die Frage nur, weil das 80 Prozent meines Bekanntenkreises, Netflix, Amazon, Maxdome und Sky sei dank, nicht mehr tun. Aber sollten Sie zufällig mal die TV-Home-Taste Ihrer Fernbedienung streifen und im normalen, deutschen Programm landen, dann wundern Sie sich nicht, dass alles ein wenig wie mit Persil gewaschen wirkt: reinweiß. Deutschland 2017 ist diesbezüglich eineeinsame Insel, eine Trutzburg gegen alles, was Redakteure (die heimlichen Caster heutzutage) als „fremd“ empfinden, pupsegal, ob hierzulande auch knapp 2 Millionen Schwarze leben, davon ein Großteil direkt in Deutschland aus befruchteten Negerküssen geschlüpft ist, oder zBsp asiatische Mitbürger bereits in der 3. Generation und voll intergriert ihr Auskommen haben. Im Tv sucht man sie vergeblich in exponierten Rollen. Wer nicht ins deutsche Leitschauspielerbild passt, der darf oft nur vorkommen, wenn sein Anderssein Thema oder Problem des Filmes ist. Einfach so normal geht ja mal gar nicht. Und Obama sind immer die Anderen.

 

„Die ARD hat sich das Ziel gesetzt… die Chancen einer kulturell vielfältigen Gesellschaft glaubwürdig zu vermitteln. In allen relevanten Programmgenres und -formaten sollen Menschen mit Migrationshintergrund als Protagonisten in unterschiedlichsten Lebenslagen, insbesondere außerhalb gebräuchlicher Klischees auftreten.“

 

Das ist aus der „Charta der Vielfalt“ 2007. 2007! Vielleicht schwarzer Humor? Wieder ein Grund weiß sein zu wollen. Mein Mann meint grad, er hätte mich auch in weiß genommen. Heißt das jetzt, er steht gar nicht auf schwarz? Bin verwirrt. Probleme wohin man schaut.

 

Zum Weiterlesen, -schauen und -hören:

Pierre’s Rede (leicht gekürzte) auf dem Integrationsgipfel im Kanzleramt 2006

Der Trailer zu Pierre’s Film „Weiber – Schwestern teilen. Alles.“

Der Song der kleinen Kaulquappe Kauli aus Pierre‘s Hörbuch „Der Nix“

 

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