“Es riecht nach Revolution und einem neuen Führer“

Ich bin noch unentschlossen, ob dieses Interview mit Stefan Petzner, dem damaligen Spin-Doctor von Jörg Haider, der dafür aber immer noch auch erstaunlich unfalsche Dinge sagt, nicht doch zu alarmistisch ist. Aber: Wenn man sich die Fakten anschaut, muss man schon sehr eindringlich davor warnen, davon auszugehen, dass die ganze Scheiße, die sich uns jetzt schon darbietet und fast täglich schlimmer wird, dann noch von Gesetzesverschärfungen bestätigt wird und die noch viel übleren Umstände, die sich zusammenbrauen, von allein wieder weggehen. Ihr wisst, wie aus einem Sarrazin Hogesa + Pegida und daraus die AfD und der schlimmste Rechtsterrorismus seit Jahrzehnten wurde. Der bisher in diesem Jahr noch schlimmer ausfällt als noch 2015, wo es schon ein Rekordlevel an Anschlägen gab. Ihr wisst, wie die Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften usw. rechten Täter_innen aller Art viel zu oft eine leichtfüßige, spielerisch-humanistische Freundlichkeit entgegenbringen, die bei Hakenkreuz und Hitlergruß immer noch keine Anhaltspunkte für rechtsextreme Hintergründe erkennt, während z.B. in Plauen die Organisator_innen der Anti-Nazi-Demo gerade davon bedroht sind, mit dem Terrorparagrafen 129a behandelt zu werden. Weil sie gegen Neonazis auf die Straße gingen.

Das ist wahrlich nicht neu, davon reden wir hier seit Jahren mehrmals pro Woche. Dafür wurde der Begriff des #Deutschlandproblems eingeführt. Auf internationaler Ebene sieht es auch nicht viel besser aus. Es gibt zwar auch einige unterrepräsentierte Ausnahmen und wie in Polen jüngst erfreuliche Gegenwehr, die hoffentlich Erfolg haben wird. Aber in Frankreich Le Pen, Großbritannien wählt sich vielleicht bald aus der EU, in Österreich die FPÖ, in Italien der immer noch lang nachwirkende Berlusconismus mit umfangreichen Verstrickungen von Mafiastrukturen und offen als Faschisten auftretenden Figuren, von Ungarns Voranschreiten in den Faschismus ganz zu schweigen. Die Schweizer SVP, die dänische Folkeparti und etliche weitere Beispiele machen seit Jahren ziemlich erfolgreiches Rechtsruckbusiness. In Brasilien wird kalt geputscht, das Phänomen Trump ist bekannt, im Iran beginnt gerade die Holocaust-Karikaturen-Ausstellung usw. Mittlerweile chillaxen Dschihadisten stellenweise sogar easy mit Pegida-Leuten, auch das kann nicht ganz überraschend kommen.

Man kann diese Liste sehr lang weiterführen. Zur Türkei und ihrem durchgeknallten Präsidenten wurde jetzt ja noch gar nichts gesagt. All das betrifft uns alle und wird uns noch mehr als nur einige Nerven kosten, wenn nicht endlich mal alle Gutmenschen, Antifaschist_innen, Fans von Humanismus, Liberalismus, Demokratie ihren Arsch hochkriegen und ge-mein-sam losmachen. Was übrigens ein Klacks wäre, wir brauchen nur einen Termin. Wieso zur Hölle gab es immer noch keine wirklich gut abgestimmten, bundesweiten Demos mit hunderttausenden Menschen? Die Leute gibt’s ja. Wieso wird da nicht mehr zusammengearbeitet? Es gehen auch in Kleinstädten regelmäßig bis zu tausende Menschen auf der Straße bei Naziaufmärschen. Wieso gibt es offensichtlich keine Leute, die die Gefahr erkennen, aber nicht dabei stehenbleiben, sondern dann auch bundesweit etwas tun? Das wäre doch alles keine Zauberei. Es ist nicht nur scheiße, nichts zu tun, es ist auch ganz schön gefährlich. Und es wird mit jeder Woche, die verstreicht, in der nichts zu den tödlichen Schüssen der Türkei auf Flüchtende aus Syrien gesagt wird, in der Rechtsterrorismus immer noch nicht auf der Agenda ganz oben steht, gefährlicher. Bis es zu spät ist. Heute kamen in Kärnten fucking 12.000 bewaffnete Neonazis zusammen, ohne Gegendemo – das wäre lebensgefährlich. Ist das eine Perspektive, wollen wir in die Richtung weitergehen? Nö, ganz sicher nicht. Also auf, worauf warten wir?

„Becirovic: Also sehnen sich die Menschen nach einem »Führer«?

Petzner: Die Tendenz in diese Richtung wächst deutlich. Ich glaube, dass wir momentan eine zu kurzsichtige Diskussion führen – nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Die Frage lautet: Wie schaut es um den Bestand unseres demokratischen Systems, so wie wir es seit 1945 kennen, überhaupt aus? Ich befürchte, dass dieses System sich gerade in aktuer Lebensgefahr befindet. Ob man daran noch etwas ändern kann, weiß ich nicht. Derzeit sprechen alle Indikatoren dagegen. Immer mehr Menschen hinterfragen unser demokratisches System an sich – insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen wir immer größer werdenden politischen Herausforderungen, ökonomischen Verwerfungen und gesellschaftlichen Problemen gegenüberstehen. In Österreich, europaweit, ja weltweit. Sei es nun die aktuelle Flüchtlingskrise oder die in Wahrheit bis heute ungelöste Finanzkrise – all das sind die großen Probleme, die große Entscheidungen abverlangen. Es stehen mitunter bahnbrechende Weichenstellungen und nötige große Umwälzungen an, die uns regelrecht dazu zwingen werden, unser gesamtes kapitalistisches und schuldenbasiertes Wirtschaftssystem auf den Kopf zu stellen. Denn es funktioniert schlichtweg nicht mehr. Obwohl wir das wissen, wollen wir es nicht wahrhaben. Vor allem unsere Politiker nicht. Es zweifeln immer mehr Menschen daran, ob unser derzeitiges demokratisches Parteiensystem all diese großen Umbrüche schultern kann. Diesen Zweifeln müssen wir uns stellen.

Becirovic: Zum Verständnis: Meinst du damit unsere repräsentative Demokratie?

Petzner: Genau, unsere repräsentative Demokratie – oder wie ich immer sage: unsere parlamentarische Parteiendemokratie, wie wir seit 1945 kennen. Glauben die Leute den Parteien und Politikern, dass diese überhaupt noch Herr der Lage sind? Ich sage »Nein«. Das Vertrauen schwindet. Es ist eine deutliche Entwicklung zu erkennen. Die Menschen wenden sich Stück für Stück von der Demokratie ab und stattdessen starken »Leadern« zu. Insofern ist ein Vladimir Putin – mit der Art, mit der er Russland führt – der Trendpolitiker der Zukunft.

Becirovic: Man kann das durchaus auch auf den türkischen Premier Erdogan ummünzen. Egal was man im Rest der Welt auch sagt, Erdogan gewinnt eine Wahl nach der anderen.

Petzner: Erdogans Erfolg bei Wahlen gründet bis heute auf dem gewaltigen Boom und wirtschaftlichen Aufstieg mit hohen Wachstumsraten, den die Türkei in seinen Anfangszeiten und jenen der AKP hingelegt hat. Doch Erdogan nutzte die daraus entstandene und bis heute andauernde Popularität dazu, um die Türkei langsam und schleichend in einen autoritären Staat umzuwandeln und die Demokratie auszuhöhlen. Richtig sichtbar wird das erst jetzt, geplant hat er es von Anfang an. Insofern sind Erdogan und die Türkei ein gutes Beispiel dafür, wie schnell es gehen kann. Die Frage ist: Wollen wir diesen Typus Politiker wie Putin oder Erdogan auch bei uns? Können wir die dahingehende Entwicklung überhaupt noch aufhalten? Wenn ich in Deutschland PEGIDA-Demonstrationen sehe, bei denen Transparente mit der Aufschrift »Putin hilf!« auftauchen, dann frage ich mich, welche Motive, Wünsche und Absichten bei den Demonstranten dahinterstecken. Warum hat Putin in westlichen Ländern wie Österreich und Deutschland derart viele Anhänger, Bewunderer und Unterstützer, dass sogar eine eigene Bezeichnung, die »Putin-Versteher«, für sie erfunden wurde? Dahingehend ist auch die Bundespräsidentenwahl bei uns eine Richtungsentscheidung – darüber, welchen Weg Österreich einschlagen soll. Das darf man nicht unterschätzen.“

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