Kunst und Provokation: Sachen klauen

„How to provoke today?“ – mit dieser Frage eröffnete Alain Bieber vor zehn Jahren einen Vortrag zum Stand der subversiven Kunst. Seine Eingangsthese lautete, dass das Mittel der Provokation längst von Marketingagenturen gefressen und zum Beispiel in Form von kostengünstigem guerilla marketing herausgespuckt wurde. Provokation als Kampfansage gegen die Verhältnisse habe einigermaßen ausgedient; selbst ein Dieter Bohlen ließ zu der Zeit seine aktuelle Duftmarke unter dem Titel „Provocation“ bewerben. Anschließend widerlegte der Begründer von rebelart.net seine eigene These und führte Beispiele an, wie subversive Provokation doch noch funktionieren kann.

Das war vor zehn Jahren. Heute scheinen sich ständig Leute von künstlerischen Mitteln irgendwie provoziert zu fühlen, seien sie Staatoberhäupter oder Besucher*innen von Kulturveranstaltungen. In der Hamburger Laeiszhalle reichte letztens schon ein kurzer Einspieler, in dem ein junger Geflüchteter seinen Freiheitbegriff reflektierte, um das Publikum zu Buhrufen zu provozieren. In Wien wurde ein Theaterstück gleich von Identitären gestürmt, weil dort Geflüchtete auf der Bühne standen.

Rechte zu ärgern ist allerdings verhältnismäßig einfach. Die schweigende Mehrheit hat heute längst viel zu sagen und empört sich über alles, was nicht in ihr Weltbild passt.

Schwieriger bleibt es, mit künstlerischen Mitteln gesamtgesellschaftlich zu provozieren – oder doch wenigstens im Kunstkontext. Zumal im Bereich der symbolischen Gesten das Mittel der Provokation bereits seit den Historischen Avantgarden durchgenudelt wird. An der Subversionsfront ist es heute recht ruhig geworden.

Aber doch, selbst im ach so krawallerprobten Kunstkontext lassen sich auch heute noch subversive Provokationen platzieren – wie es vor kurzem in Großbritannien vorgeführt wurde. Dort wurden Prankster verknackt, weil sie in einer Galerie uneingeladen einen Kunstraub inszenierten. Und damit eine kleine Massenpanik auslösten. Offenbar war das nicht die Intention der Prankster, wie sie vor Gericht reumütig bestätigten. Trotzdem verrät die Nummer nicht nur einiges über die paranoide Stimmung in Europa, sondern auch etwas über die Institution Kunst selbst: Auch in einem white cube ist längst nicht alles erlaubt. Aber es ist möglich, mit Grenzverhandlungen der Legalität zu provozieren – wie zum Beispiel die Reaktionen auf einen Artikel von urbanshit zeigen, der das Thema aufgriff. Der Tenor: Sicherheit statt Kunstfreiheit.

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Das Publikum ist pissed. Quelle: FB-Kommentare beim urbanshit-Post.

 

Natürlich lässt sich fragen, was die Nummer mit Kunst zu tun haben soll. Auf diese Frage habe ich wenig Lust, weil sie wahnsinnig langweilig ist. Mir als Rezipienten kann die eigentliche Intention der Prankster ohnehin völlig wumpe sein, um die Aktion dennoch kunsthistorischen zu behandeln. (Und außerdem ist das hier eh mein Artikel; ich kann hier machen, was ich will. Zum Beispiel Alain Bieber grüßen. Hallo Alain Bieber!)

Aber was soll‘s: Selbstverständlich ist das Kunst. Sogar sehr gute Aktionskunst. Die nicht nur die sicherheitsfanatische Stimmung reflektiert, sondern auch die Eigentumsfrage von musealisierten Kunstwerken in Frage stellt. Und sich nebenbei in die Traditionslinie der Historischen Avantgarden und ihrem Ziel, der „Aufhebung von Kunst und Lebenspraxis“, stellt. Die Avantgarden eröffneten die Problemstellung, wie sich die Stellung und Funktionsweise von Kunst innerhalb der nächsten Gesellschaftsformation denke ließe, also wenn die bürgerliche Gesellschaft der Vergangenheit angehört. Und wie sich diese Kunst bereits im Jetzt erproben lässt. Damit operieren die Historische Avantgarde und ihre Nachfolgeprojekte automatisch mit Provokation, da sie Dinge dort tun, wo sie eigentlich nicht vorgesehen sind. Daher auch die ganze avantgardistische „Vorhut“-Geschichte: Avantgarde heißt Angriff, Angriff nach Vorn.

Das wiederum läuft zum Beispiel durch das Einreißen der Grenze zwischen Kunst und Alltag, in dem eine Galerie performativ überfallen wird. Etwas alltägliches, wie eben ein Überfall, drängt sich in den Kunstraum.

Andersherum wird natürlich auch rumgedoktert: 2014 überfiel ein Künstler eine Bank und behauptete im Anschluss, es handele sich um eine künstlerische Performance, also um den Einsatz künstlerischer Mittel in einem Alltagsraum. Er kam trotzdem ins Gefängnis. In die gleiche Kerbe schlug auch das Zentrum für politische Schönheit, wenn auch verhältnismäßig harmlos, als es 2014 Mauerkreuze entwendete. (An die Eingeweihten: Das mit der „Ästhetisierung der Politik“ ist natürlich fragwürdig. Wird an anderer Stelle nochmal aufgegriffen. Vielleicht.)

Jedenfalls zeigen diese Aktionen, dass das Mittel der Provokation heute vielleicht sogar auf mehr fruchtbares Material stößt, als vor zehn Jahren. Und das nicht nur bei den Rechten, sondern auch beim liberalen Kunst- und Kulturpublikum. Wahnsinnig gute Voraussetzungen für eine neue Welle an post-avantgardistischer Provokationskunst. Ganz besonders hübsch scheint es zu funktionieren, Sachen zu klauen. Na dann, auf geht’s.

 

Titelbild: Trollstation, Still von youtube.

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