Von Besserwisserei und dem Narzissmus der Privilegierten

Am liebsten dreht sich meine Welt um mich

Ja, manchmal ist das so in „der linken Szene“: Aus der Erkenntnis, dass die Welt da draußen ungerecht strukturiert ist, erwächst ein Misstrauen gegenüber… allen anderen aus der Welt da draußen. Alle, die aussehen, als wären sie Teil der gesellschaftlichen Normalität, gelten dann als gefährlich. Es versammeln sich die Guten in autonomen Zentren oder safer spaces hier – gegen die schlechte gesellschaftliche Norm dort. Möglicherweise lacht der politische Gegner währenddessen über uns: darüber, dass wir uns mit dem Aufbau und Erhalt von Subkulturen sowie mit Beef untereinander selbstbeschäftigen.

Gleichzeitig sind wir „in der Welt da draußen“ in der Situation, dass viele den Kapitalismus scheiße finden, wollen, dass Menschen von den EU-Außengrenzen schnell und unkompliziert hier aufgenommen werden und die Klimakrise bestmöglich abgewendet wird. Sagst du, form, die sollen jetzt alle einfach loslegen, statt sich erst durch Gos und NoGos zu kämpfen oder sich bestimmten Codes anzupassen?

Gut gemeint und schlecht gemacht

Wir sind alle in einer Gesellschaft sozialisiert, in der wir in unserem „Normalsein“ ganz schön viel Ungleichheit (re)produzieren: Zum Beispiel finden wir es „normal“ davon ausgehen, dass Leute „woanders herkommen“, weil sie eine andere Hautfarbe haben, und weisen dann Leute auf ihr vermeintliches Anderssein hin, indem wir nachfragen. Wenn nun Leute, die Bock haben, die Welt zu verändern, Lernprozesse auf Kosten anderer durchleben (z.B. durch rassistische, sexistische Sprache oder reduzierende Fragen gegenüber queeren Menschen, usw.) ist es für viele, vor allem diejenigen, die eh schon öfter die Arschkarte ziehen, einfach nicht geil. Von „unseren Flüchtlingen“ zu reden ist degradierend, gelegentlich alte Kleidung abdrücken ist auch noch keine Befreiung und unverpackt, bio, vegan einkaufen muss man sich leisten können. Manchmal ist „einfach mal anfangen“ halt gut gemeint und schlecht gemacht.

Das gute Leben für alle – ohne sich die Hände dabei schmutzig zu machen?

Die Befreiung für alle zu wollen ist kompliziert – das ist der Unterschied zwischen uns und den Faschos: geile Scheiße fürs eigene Volk zu fordern ist halt einfacher als das gute Leben für alle. In dieser Situation 2021, in der wir schnell grundlegende Veränderungen brauchen, braucht es mehr als gut gemeinte Charity und Appelle an den Staat – das zeigt uns die Geschichte immer wieder (Shoutout an Fridays for Future und Seebrücke!). Aber ja, ich stimme zu; es braucht definitiv nicht, dass wir auf Menschen, die zu uns stoßen, rumhacken oder sie ächten – viel mehr braucht es die Ehrlichkeit mit sich selbst (wir wussten auch nicht alles schon immer!) sowie den Verweis auf große, politisch-gegnerische Strukturen sowie das Vermitteln, weshalb wir bestimmte Fallstricke sehen und andere Taktiken fahren.

Wo ziehen wir also (k)eine Grenze? Wo gibt es Lernräume? Wie offen sind wir für Tante Gerda, die die AfD auch scheiße findet? Wie passen wir dabei auf uns auf, weil es politische Gegner*innen gibt, die es auf uns abgesehen haben? Diskutieren wir mit allen – auch den Nazis der AfD? Wie viele Fragen darf unser Gegenüber stellen, bevor wir unser Gegenüber in Frage stellen?

Es gibt Projekte, die Szenetücken schon lange erkannt haben, „gesellschaftlich“ sind und sich auch so organisieren. Es gibt breite Plattformen, Bündnisse und Kampagnen, die das Gemeinsame suchen: #unteilbar, Seebrücke, Deutsche Wohnen & Co. Enteignen sind keine exklusiven Veranstaltungen. Als Fan von guten Sachen und nicht nur gegen schlechte: Es gibt sie, diejenigen, die dazwischengehen, statt sich voller Genugtuung besserwisserisch auf die eigene Schulter zu klopfen, sich von anderen abzugrenzen, die eigene Überlegenheit zu feiern oder andere zu verurteilen. Es gibt diese Aktivist*innen, die wissen: Es geht nicht vor allem ums Richtigmachen. Denn wer Politik macht, macht sich auch schon mal die Hände schmutzig. Und ja, auch da hast du Recht: wir müssen noch viel mehr werden!

Wenn wir aber von ausschließenden Dynamiken reden, ist es mir wichtig, noch einmal zurückzuspulen: Zentral ausgeschlossen sind im Alltag meist diejenigen außerhalb der gesellschaftlichen Norm (Stichwort: Barrierefreiheit). Das haben woke Held*innen natürlich längst verstanden und zeigen uns wie mensch es richtig macht. Ich nenne den Spaß: Den Narzissmus der Privilegierten.

Props für dich und Opferrolle für mich

Wie ich schon sagte: die Welt ist ungerecht. Immer wieder werden die strukturellen Ungleichheiten, die uns unterschiedlich treffen, von einigen brav-unterwürfigen, privilegierten Verbündeten ausgebadet, indem sie individuell dafür aufkommen: sie geben mir Raum, lassen stehen, was ich sage, stellen bloß nichts in Frage, was aus meinem Mund kommt, bezahlen Rechnungen, spülen ungefragt Geschirr, veranstalten in diverser Besetzung – aber auch kein Tokenism, ist ja klar!

Heidewitzka, wie privilegiert muss mensch sein, um so mit strukturellen Ungleichheiten umgehen zu können! Fresse halten, blinder Gehorsam gegenüber Betroffenen aller Art, ran an den Herd! Einfach die Gewalt von weißer Vorherrschaft und Patriachat durch Selbstkasteiung, ständiges ungefragtes Outen der eigenen Perspektivmängel und unterwürfiges Drecksarbeitverrichten wieder gut machen. Danke, reflektierter weißer Cis-Typ, dass du nicht einmal Lob willst! 

… und doch wirst du belohnt: durch das reine Gewissen der moralisch Besseren, dem sozialen Abwärtsvergleich gegenüber denjenigen, die es viel schlechter gemacht haben als du und die Anerkennung der eigenen Gang. 

… und ich werde begrüßt mit „Willkommen im infantilisierenden Paradies für Menschen mit Diskriminierungserfahrung“. Offenbar kann ich nicht selbst für meinen Raum sorgen, mir wird die Chance genommen, dazuzulernen, verbessert zu werden, Fehler zu machen, weil mir nicht widersprochen wird. Mein Getränk oder die anderer selbst zu zahlen, wird eher als falscher Stolz verbucht, während die Möglichkeit, dass ich mehr verdiene als alle anderen am Tisch oder einfach keinen Bock auf karitative Gesten habe, nicht in Erwägung gezogen wird. Ich kriege die Alien-Sonderbehandlung, die mir ins Gesicht drückt, dass ich es ja „ach so schwer“ zu haben hab. Geiles Empowerment.

„Da kann ich als privilegierte Person nichts zu sagen!“

Nicht-Betroffene können wohl aus ihrer Erfahrung und Perspektive nichts zu Dingen sagen, von denen sie nicht betroffen sind, wäre ja bevormundend. Was weiß ein weißer Cis-Typ schon zu meiner Lebenswelt zu sagen…?

Gute Frage – was kann mensch zum Unrecht dieser Welt sagen? Dass

– ungleicher Zugang zur weiterführenden Schule,

– erschwerter Zugang zu Wissen bzgl. wie vögeln wir so, dass sich alle wohlfühlen und ohne sich und andere zu gefährden,

– Barrieren im öffentlichen Raum,

– ungleiche Bezahlung,

– sprachlicher Ausschluss,

– Beschimpfungen ohne Fehlverhalten bis zu körperlichen Übergriffen,

– Hunger,

– häusliche Gewalt

– und jede andere Form von Unrecht und Gewalt, die systematisch ist

… scheiße und falsch sind, muss ich nicht erfahren. Wer dazu nichts zu sagen hat, solange nicht genug Betroffene in den eigenen Strukturen sitzen, kämpft nicht mit mir, sondern hat Angst davor kritisiert zu werden.

„Wir sind zu weiß, wir müssen diverser werden!“ oder „Mimimi, ich hab Angst, dass die BiPoCs mich doof finden.“

Und welchen Zweck soll das haben? Warum wollt ihr diverser werden? Zu 95% folgt auf die Frage Müll, der „reflektiert“ klingt, aber folgendes meint: „Wir wollen endlich wieder kämpfen und was sagen dürfen. Wir haben Themen, die uns bewegen, bei denen wir wissen, dass die komplexer sind als die eigene Perspektive. Wir halten die Ohnmacht nicht aus, denn würden wir uns jetzt äußern, wird uns unsere mangelnde Glaubwürdigkeit oder am liebsten Rassismus vorgeworfen und davor haben wir Angst“.

Ja, den Fokus nicht nur auf Betroffene zu richten und darin unsichtbar zu machen, dass es auch Ausübende oder strukturell Privilegierte gibt, ist richtig und wichtig – aber am Ende wieder nur mit sich und dem eigenen, ewig schlechten Gewissen beschäftigt zu sein, ist so langweilig und in der Praxis politisch bedeutungslos. Also, warum jetzt nochmal „diverser“ werden? Um zu zeigen, dass man „es“ verstanden hat, um keine Vorwürfe zu bekommen, um die eigene Legitimität wiederherzustellen und das eigene Gewissen zu beruhigen?

Ich sage nicht, dass Betroffenenperspektiven irrelevant sind. Ich sage, dass die Frage nach Betroffenen meist aus bekackten Gründen (z.B. dem Credo, „intersektional“ zu sein und der inneren Angst, die schreit „bitte, schlagt mich nicht, BiPoCs“) gestellt und idiotisch beantwortet wird („Unsere Gruppe muss diverser werden“). Damit werden die „diversen Neuzugänge“ Schutzschild vor wie auch immer gearteter Kritik und die gesuchte Legitimation ist wiederhergestellt. Geile Betroffenenzentrierung! 

Das alles ist nur ein trauriger Versuch, den eigenen Arsch zu retten und keine Solidarität. Es langweilt mich nicht nur, sondern viel schlimmer: es ist anstrengend, diesen Privilegierten dann wieder Mut machen zu müssen, doch endlich wieder politisch zu agieren, statt hilflos in der Ecke rumzustehen.

Betroffenenperspektive – wozu eigentlich?

Es gibt unzählige Gründe Betroffene zu hören: Perspektiven, die der konstruierten Norm entsprechen, sind nicht universell. Es gibt situiertes (das heißt kein aus allen Perspektiven gültiges) Wissen und blinde Flecken. Die Welt ist durchzogen von Machtstrukturen, die schnell reproduziert werden. Betroffene wissen selbst am besten, worum es ihnen geht, was sie brauchen. Die Lösung aber darin zu sehen, sich um Repräsentanz zu bemühen, ist zu kurz gegriffen und vereinfacht.

Ich glaube, es gibt bessere Gründe, die Betroffenenperspektive ins Zentrum zu rücken: z.B. dass es für das eigentliche Ziel, den Sieg, die Befreiung als notwendig erachtet wird – „notwendig“ und nicht „richtig“.WieLilla Watson sagte: „If you’ve come to help me, you’re wasting your time. But if you’ve come because your liberation is bound up with mine, then let us work together„.

Mein Kampf ist nicht gewonnen, wenn Ausbeutung und Entrechtung nicht mich, dafür aber andere treffen. Und dieses Problem löst sich vielleicht nicht einfach in der Repräsentanz Marginalisierter durch „divers“ besetzte Veranstaltungen auf. Oder darin, am Ende selbst nichts mehr zu Rassismus und allen anderen strukturellen Gewaltformen sagen zu können.

Der Fokus auf die politischen Anliegen der Betroffenen und der reale Kampf gegen die Verhältnisse gehen dabei verloren. In der Praxis geht’s den armen, von ihrem Gewissen geplagten Privilegierten am Ende viel mehr darum, „es richtig zu machen“ – und vor allem nicht falsch, bloß keine Schelte abholen! Konfuzius‘ drei Affen.

Verwirrt? Tja, so ist das in einer Welt, in der man sich mündig verhalten soll und nicht einfach eine Reflektions- und Repräsentanz-Checklist abarbeiten kann, um zu den Guten zu gehören. So ist das, wenn wir die befreite Bäckerei wollen, und nicht nur mehr vom Kuchen – sogar für die armen Anderen, für die wir jetzt nicht sprechen können.

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Berena Yogarajah ist noch keine 30 und wäre so gern B-Girl. Ansonsten arbeitet sie an einer Welt, in der wir uns fragen: „Warum soll ich dir was wegnehmen, wenn wir alles teilen?“.

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