Wichtige Typen und hysterische Bitches – Teil 2

– There is nothing stronger than a woman who has rebuilt herself –

Hannah Gadsby

Letztes Jahr habe ich schon einen Artikel für diese Reihe geschrieben. Ich schrieb davon, wie ich mehrere Übergriffe durch einen Mann erlebt hatte, der in „linken Kreisen“ eine große Nummer ist und wie schwierig es war, ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen. Es wurde ein Teil der Reihe „Wir müssen endlich reden“, der ein Licht darauf werfen sollte, wie ich es geschafft hatte, den übergriffigen Hundesohn zu konfrontieren. Ich dachte damals, ich hätte das Thema hinter mir gelassen, meine Schuldgefühle abgeschüttelt, einen Umgang mit und vor allem Verständnis beim Täter gefunden. Ich war glücklich, dass ich nicht an so ein Riesenarschloch geraten war wie manch andere. Ich schätzte mich glücklich, dass mein Täter mir zuzuhören schien und an sich arbeitete. Das alles war Bullshit und ich habe fast ein Jahr gebraucht, um das zu erkennen. Ein Jahr, in dem der Täter mir immer wieder zu verstehen gab, dass es extrem schlimm für ihn sei, wenn ich auf die Übergriffe zu sprechen kam, und dass meine „Stimmungsschwankungen“ eigentlich das Problem in unserer Kommunikation seien. Ein Jahr lang fraß ich diesen Köder bereitwillig, denn mein Selbstwertgefühl war durch seine sexualisierten Übergriffe auf mich sowieso sowas von im Arsch, dass es nicht viel brauchte, um mir weiszumachen, dass mein Verhalten „problematisch“ und „einschüchternd“ sei. Bis vor kurzem habe ich hart mit mir gerungen, einen Weg aus dem Haufen Müll zu finden, den die sexualisierten Übergriffe und die darauffolgenden Manipulationen aus meinem Inneren gemacht haben. Spoiler: Ich habe es immer noch nicht vollständig geschafft. Was mich am meisten fertig macht, ist das Gefühl, darüber nicht sprechen zu dürfen, und die Einsamkeit, die daraus entsteht. Und das, obwohl sich alle Menschen in meinem Umfeld größte Mühe geben, mir zu helfen. Ich habe zum Beispiel auch Angst davor, diesen Artikel zu veröffentlichen, obwohl ich weiß, dass das eigentlich ok sein müsste. Diese Angst zeigt mir, dass ich nicht auf die Solidarität der Menschen in meiner „Szene“ vertraue, weil ich oft genug beobachtet habe, was passiert, wenn es dann mal wirklich ernst wird mit den Vorwürfen gegen irgendein Arschgesicht aus den eigenen Reihen. Auch damit ich diese schmerzhafte Erkenntnis verdrängen konnte, habe ich lieber geglaubt, dass ein manipulatives Arschloch in Wirklichkeit nett zu mir sei.

Hysterische Bitches und schlaffe Pimmel

Als ich meinen ersten Artikel über das Thema schrieb, hatten der Täter – nennen wir ihn der Einfachheit halber Michael – und ich uns einigermaßen vertragen. Wir hatten vor, weiter über das, was passiert war, im Gespräch zu bleiben, und es kristallisierte sich heraus, dass wir vielleicht irgendwann wieder eine romantische Beziehung miteinander aufnehmen könnten. So trafen wir uns öfter. Wenn wir uns sahen und ich über die Übergriffe sprach, wurde er unruhig, rutschte auf seinem Stuhl hin und her, sagte, wie schwierig das alles für ihn sei. Er erzählte mir, dass er sich meine Ansage, er solle keinen Sex mehr mit irgendwem haben, bis er seinen Scheiß auf der Reihe habe, sehr zu Herzen genommen habe. Er könne nicht einmal mehr masturbieren, sagte er, geschweige denn mit jemandem schlafen, weil er so getroffen und verunsichert sei. Im Nachhinein erfuhr ich, dass er zu dieser Zeit eine feste Freundin hatte, mit der er quasi zusammenwohnte, und nebenbei schon eine Affäre mit seiner jetzigen Freundin angefangen hatte. Soviel zum Thema „keinen hoch bekommen wegen tiefgehender psychischer Auseinandersetzung“.

Ich war zu dieser Zeit konstant verwirrt, weil ich trotz meines kollabierten Selbstwerts irgendwo doch bemerkte, dass die Übergriffe immer aus dem Gespräch verschwanden, wenn ich sie ansprach. Eine Begebenheit, die sehr gut zusammenfasst, aus welchem Holz Michael geschnitzt ist, trug sich im Herbst 2017 zu. Michael redete darüber, dass er mich zwar sexuell anziehend finde, aber Probleme mit meiner „einschüchternden Art“ habe. Wir küssten uns eine Weile, bis ich irgendwann darüber zu sprechen begann, dass ich nicht damit klarkäme, wenn es wieder und wieder um mein „schwieriges“ Verhalten, aber so gut wie nie um die schon einige Monate zurückliegenden Übergriffe ginge. Als Reaktion deutete er auf seinen Schritt und sagte: „Und schon ist er wieder weich!“ Anders formuliert: Ich wäre schon eine fickbare Alte, wenn ich nicht immer wie eine hysterische Fotze darüber rumbitchen müsste, dass dieses Arschgesicht mir gegenüber massiv sexualisiert übergriffig geworden ist. Wir diskutierten eine Weile darüber und irgendwann entschuldigte ich mich, wie immer in dieser Zeit, verzweifelt für meine „aggressive Art“. Mir treibt es die Schamesröte ins Gesicht, diese Worte zu tippen, und es erfordert sehr viel Kraft, mich nicht dafür zu verurteilen, es nicht schneller da raus geschafft zu haben. Und das, obwohl ich eigentlich weiß, dass übergriffige Beziehungen ganz genau so funktionieren: Über Manipulation und Zerstörung des Selbstwerts des Opfers.

Das ist nur eine Anekdote über die Dinge, die ich mir nach meinem ersten Artikel noch gegeben habe. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich diesen Menschen hasse und ihm aus meinem tiefsten Herzen nur das Schlechteste wünsche. Aber wisst ihr was: Darum soll es in diesem Artikel nicht gehen. Ich will nicht mehr nur pöbeln und meinen Hass ins Internet schreien, auch wenn ich glaube, dass ich dafür gute Gründe hätte. Ich will das nicht tun, weil es so klingt, als wäre die verständliche Wut die natürliche und einzige Reaktion auf eine Vergewaltigung: Wütend sein, den Wichser hassen, sich überlegen, wo sein Auto steht, und schon ist die Katharsis vollbracht. – Das ist sie nicht und ich bin trotz meiner Wut nicht stark. Ich will davon sprechen, wie es dazu kommen konnte, dass ich Michael geglaubt habe, dass die eigentlichen Probleme mein einschüchterndes Pochen auf Klärung und sein schlaffer Pimmel seien. Es soll darum gehen, wie es dazu kommen konnte, dass ich fast ein Jahr gebraucht habe, um meinen engsten Freundinnen zu erzählen, was Michael konkret mit mir gemacht hat, und ihnen so überhaupt die Chance zu geben, mir da raus zu helfen. Wie es dazu kommen konnte, dass ich monatelang der Überzeugung war, dass ich verdient habe, was mir passiert ist. Ja, ich bin auch wütend, vielleicht so wütend wie ich noch nie in meinem Leben über irgendetwas war! Aber ich bin auch klein, traurig, erniedrigt, müde, die Scherben aufsammelnd auf der Suche nach Solidarität.

Emotionales Land-Unter und traumatherapeutische Interventionen

Nachdem ich zunächst über eine Freundin erfahren hatte, dass Michael seit Monaten schon eine Affäre mit seiner jetzigen Freundin hatte, fiel ich emotional komplett in mich zusammen, in etwa so wie eine Hüpfburg, der man den Stecker zieht. Ich bin nach wie vor sehr fasziniert davon, wie zerstörerisch, aber eigentlich richtig mein emotionales Erleben in dieser Zeit war. Mir wurde schlagartig klar, was ich irgendwo in meinem Hinterköpfchen schon geahnt hatte: Der Dude hatte nicht monatelang keinen Sex gehabt und tiefgehend über meine Kritik nachgedacht, ganz im Gegenteil. Er benutzte meine Schuldgefühle und mein Leid, um mich davon abzuhalten, den Kontakt zu ihm abzubrechen und ihn zur Verantwortung zu ziehen. Ein Mal in meinem Zimmer sah er mir beispielsweise verständnisvoll nickend beim Weinen zu, während ich nach Fassung ringend beschrieb, welche Situation für mich die schlimmste mit ihm gewesen war. Ich bin nach wie vor sprachlos, wie ein Mensch, der weiß, dass ich ihm vertraue, dazu kommt, mich monatelang dabei zu beobachten, wie ich leide, und immer wieder Öl ins Feuer zu gießen, um meine Versuche, mich zu emanzipieren, zu unterbinden. Wahrscheinlich fand er es ganz geil, zu beobachten, wie ich es nicht schaffte, mich seiner Kontrolle zu entziehen. Drei Wochen später erfuhr ich dann von einem anderen Freund, dass Michael während fast der ganzen Zeit, die wir Kontakt gehabt hatten, jahrelang eine feste Freundin gehabt hatte. Michael hatte zu diesem Zeitpunkt schon mitbekommen, dass ich sein Verhalten mittlerweile in einem Fall anderen gegenüber eine Vergewaltigung nannte. Ich erfuhr, dass er das Ganze als „Missverständnisse“ bezeichnete und sich nicht zu fein war, einzuräumen, dass auch er da Sachen „falsch“ gemacht habe in der Kommunikation mit mir. Na dann.

In dieser Zeit schleppte ich mich drei Tage die Woche zur Arbeit und saß abgesehen davon von Weinkrämpfen geschüttelt zusammengekauert auf meinem Sofa und hatte Angst, dass Michael herausbekommen könnte, wohin ich mittlerweile umgezogen war. In meinem Kopf beschimpfte ich mich selbst, dass ich wahrscheinlich nur eifersüchtig auf seine neue und alte Freundin sei. Der Beweis dafür war für mich, dass ich ja monatelang nicht geschafft hatte, den Kontakt mit ihm abzubrechen. Macht keinen Sinn? Das weiß ich mittlerweile auch, aber in dieser Situation war dem emotionalen Land-Unter mit keiner Art von rationalem Deichbau mehr beizukommen. Vor Scham und Schuldgefühlen, vor Gefühlen der Erniedrigung durch das, was mir passiert war, war ich nicht einmal mehr in der Lage, auf meine Freund_innen zuzugehen und um Hilfe zu bitten. Mein Zustand fühlte sich an wie die gerechte Strafe für das Nichts, das ich zu sein glaubte, weil ich vergewaltigt worden war von einem Mann, der nun sagte, das seien Missverständnisse gewesen. Von einem Mann, der mit linken, bekannten Musiker_innen rumhängt. Von einem Mann, der in einem T-Shirt mit der Aufschrift „fckbl fmnst“ umherläuft und erzählt, wie schlimm es ist, dass Frauen in bestimmten Ländern immer noch nicht alleine auf die Straße gehen können. Ich hatte vor dieser Zeit immer geglaubt, ich hätte schon erlebt, wie es ist, wenn es einer wirklich richtig dreckig geht – das war ein Trugschluss. Irgendwann schrieb ich fünf meiner Freund_innen eine hilfesuchende E-Mail, in der ich um Betreuung bat. Wir erstellten für ein paar Wochen eine Art Schichtplan, wer an welchem Tag mit mir Kontakt aufnehmen und mich gegebenenfalls von meinem Sofa aufsammeln sollte. Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich diesen Menschen bin.

Rational wusste ich die meiste Zeit, dass das, was passiert war, nicht meine Schuld war und dass die Phase, die ich nun erlebte, die emotional eigentlich goldrichtige Reaktion auf sexualisierte Gewalt ist. Die Brutalität, mit der mich diese Welle aus Scheiße umwarf, war trotzdem so unerwartet, dass es mich jetzt noch überrascht. Das Resultat der Scham- und Schuldgefühle, die mich teilweise immer noch quälen, ist Einsamkeit. Ich hätte mir zeitweise eher ein Bein abgehackt als einem anderen Menschen zu erzählen, was dieser Mann mit mir gemacht hat. Stattdessen kämpfte ich lieber alleine gegen die Erinnerungsfetzen und den Selbsthass an, die durch meinen Alltag randalierten wie eine Bande wildgewordener Ideologiekritiker durch die #menaretrash-Kommentarspalten. Ich habe mir professionelle Hilfe gesucht und letztendlich unter Aufbietung all meiner Selbstdisziplin doch erzählt, was mir passiert ist. Jedes einzelne Detail habe ich aus meinem Gehirn gekramt und so lange beschrieben, diskutiert, beweint und mich dafür geschämt, bis es irgendwann besser wurde. Das hat mich in winzigen Schritten in die Richtung geschoben, einzusehen, dass ich nichts dafür kann und es nun mal sadistische Wichser gibt, die sowas machen, und dass die Welt, in der wir leben, dieses Verhalten toleriert. Das Einzige, was ich tun kann, ist, keinen Fick zu geben.

Ich bin’s, die Fotze mit der aktuellen Arschkarte

Mittlerweile geht es mir besser, aber es ist immer noch nichts in Ordnung. Michael bekleidet weiterhin wichtige Positionen in verschiedenen linken Gruppen und hat Personalverantwortung für junge Frauen. Seine aktuelle Freundin ist natürlich zu allem Überfluss die Bekannte einer Freundin von mir. Ich habe mittlerweile Geschichten aus seiner Vergangenheit gehört, die mir zeigen, dass ich keine Ausnahme bin. Ich fühle mich weiterhin oft einsam, einsam in einer politischen Szene, in der dieser Mensch seit nunmehr gut 20 Jahren aktiv ist und in der keine seiner Verhaltensweisen dazu geführt hat, dass er endgültig gehen musste. In der Stadt, in der er zuvor gelebt hat, ist er aus seinen politischen Zusammenhängen geflogen, weil sich herausgestellt hat, dass er ein misogynes, manipulatives Arschloch ist. Er erzählt unterdessen die Geschichte, dass er freiwillig gegangen sei, um die damalige Betroffene zu schützen. Wie nett von ihm. Auch das seien alles Missverständnisse gewesen, sagt er. In der neuen Stadt hat er dann mit mir weitergemacht, während im Hintergrund die Stimmen raunten, dass er „nicht so cool mit Frauen umgeht“. Wie kann das sein in einer Szene, die auf jeder ihrer Partys betont, dass Sexismus nicht geduldet wird?!

Was soll ich tun? Seinen Namen nennen oder weiterschwimmen? Ich wurde gebeten, seine neue Freundin vor ihm zu warnen, und habe abgelehnt, weil ich nach der Aufforderung erstmal ein Wochenende kampftrinkend versuchen musste, mich wieder zu beruhigen. An manchen Tagen laufe ich immer noch durch die Straßen und denke erschrocken, jeder dickere, ältere Mann ist Michael. Ich fühle mich alleine, weil ich weiß, dass er so weitermachen wird, wenn ich nichts tue. Ich fühle mich alleine, weil er möglicherweise auch weitermachen kann, wenn ich etwas tue. Ich blicke mich um in diesem Schwimmbecken voller Scheiße und will einerseits den Beckenrand erreichen, andererseits den Stöpsel ziehen. Beides erscheint mir unmöglich und die Entscheidung kann mir niemand abnehmen. Ich brauche Menschen, die zusammen mit mir den Stöpsel ziehen, und gerade habe ich die Hoffnung verloren, diese irgendwo zu finden. Versteht mich nicht falsch: Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, meine Freund_innen und Bekannte, tun ihr Allerbestes, um mich zu unterstützen. Aber die Gemengelage ist nicht einfach. Einerseits soll ich alles entscheiden können, andererseits kann und will ich das nicht. Den Menschen in meinem Umfeld ist glasklar, dass ich nichts für das kann, was mir passiert ist, und sie werden nicht müde, das zu beteuern. Sie denken auch nicht, ich müsse konkret erzählen, was genau dieser Mensch mit mir gemacht hat, auch wenn einige von ihnen es mittlerweile wissen. Ich sehe ihre besorgten Gesichter und kämpfe an schlechten Tagen innerlich weiter mit dem, was passiert ist, fühle mich einsam, habe Angst, dass Michael mir immer noch irgendetwas tun kann, und denke, ich bin ein Haufen Scheiße.

Wenn ich es mir ohne Angst vor dem, was danach kommt, aussuchen könnte, würde ich den Stöpsel einfach ziehen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich diesen Menschen anzeigen könnte und eine Chance auf eine faire Verhandlung hätte, die nicht potentiell retraumatisierend ist. Dass ich darüber reden könnte und die Konsequenzen nicht wären, dass Menschen mich als rachsüchtige, verrückte Fotze, als von der „#metoo-Kollektivpsychose“ betroffen oder auch nur als „das arme Opfer“ bezeichnen. Eigentlich ist dieser ganze Mist nicht mein, sondern unser Problem. Ich bin nicht einmal mehr sauer, ich bin nur die Bitch mit der aktuellsten Arschkarte. Die, die sich mit Scheiße bewerfen lassen darf, wenn sie‘s Maul aufmacht. Ich wünsche mir Solidarität – aber ich kann nicht darauf vertrauen, sie zu bekommen, und das bricht mir das Herz.


Bilke ist Psychologin und seit ca. 37 Jahren Redakteurin bei FICKO. Ihre Themen sind sexualisierte Gewalt, Männlichkeit, Psychotherapie & manchmal Klassismus.

2 Comments

  • Antworten September 15, 2018

    unbekannt

    YA BASTA!!! Es reicht!!!

    Und vielleicht sitzt auch du Abend für Abend in deinem Zimmer und fürchtest dich vor den Träumen, die des Nachts über dich einbrechen. Oder du siehst, hörst, riechst, fühlst, schmeckst etwas und dann kommen die Erinnerungen, die dich auffressen und ohnmächtig machen. Du rennst vielleicht von TherapeutIn zu TherapeutIn mit deiner “Krankheit”, deiner ganz individuellen “Diagnose”. Und weinst deine Tränen allein und bekommst ein Pflaster aufgeklebt, dass du wieder funktionieren kannst.
    YA BASTA!
    Sexuelle Gewalt ist KEIN individuelles zufälliges Schicksal, die Folgen der Gewalt sind keine Krankheit! Diese Form der Gewalt ist strukturell angelegt und verankert in den Machtverhältnissen und Hierarchiestrukturen der Gesellschaft, in der wir leben. Sie ist Konsequenz eines Konzepts, das auf Ausbeutung beruht. So lange eine Gesellschaft auf Machtverhältnissen und Hierarchien aufgebaut ist, wird es sexuelle Gewalt geben. Die Arschlöcher, die diese Gewalt ausüben, wollen Macht ausüben, wollen Subjekte zu Objekten machen. Und diese Ohnmacht zu spüren, raubt den Subjektstatus, verunmöglicht es ein autonomes Leben zu führen. Sexuelle Gewalt hinterlässt Spuren, aber sie muss nicht zwangsläufig bestimmend für dein Leben sein. Die Situation(en) hatten/haben ein Anfang und ein Ende. Es gibt eine Gegenwart. Verliere dich nicht. Werde zum Subjekt. Zeig den ganzen scheiß Arschlöchern deine Wut, lasse dich nicht objektivieren. Du bist Subjekt. Du warst vielleicht Objekt, dann Überlebende, aber es gibt Wege der Ohnmacht zu entfliehen, Entscheidungen zu treffen, autonom zu werden.

    DU BIST NICHT ALLEIN!

    Neben dir, mit dir, sind viele, die Nacht für Nacht träumen, die heimlich und leise weinen, die sich vor Berührungen fürchten, die Angst haben, vielleicht etwas falsch gemacht zu haben, selbst Schuld an den Übergriffen/Vergewaltigungen zu sein, die irgendwie wissen, dass sie mal so etwas erlebt haben und trotzdem zweifeln, die sich sagen “das war doch alles nicht so schlimm” und ihre Tränen nach innen kehren, sie blutig die Arme runter laufen lassen, sich schämen, weil sie ambivalent zu den Situationen fühlen, irgendetwas erregend daran finden, die Angst haben, zu erzählen, die aufgelaufen sind und als aufmerksamkeitsheischende Psychos abgestempelt werden, die gar nicht mehr sprechen können und sich nur noch verstecken.
    Das alles ist Teil der Repression.
    So traurig es ist: DU BIST NICHT ALLEIN!
    Wir sind viele. Es gibt keinen Grund sich zu schämen, es gibt keinen Grund zu schweigen.
    Brechen wir die Strukturen auf! Werden wir autonom und erkämpfen uns unsere Subjektwerdung!
    Denk dran, Rache ist süß! Brechen wir das Schweigen. Lasst uns enttabuisieren und den Fokus auf sexuelle Gewalt als gesellschaftliche Macht- und Repressionsstruktur rücken. Das “Thema” muss normaler Bestandteil von Diskursen werden, ohne es zu bagatellisieren. Wir lassen keinen Raum für TäterInnen. Rache ist süß!
    Und es gibt viele Wege!
    Wir sind viele.
    Schlagt den mitleidigen Blicken und dem betretenen Schweigen in die Fresse. Fordert Solidarität und lasst sie uns auch gegenseitig spüren.
    Wir können uns organisieren und wir können Wege finden. Wir können die juristischen Möglichkeiten nutzen, aber es gibt auch andere Waffen. Lasst es uns in alle Winde schreien: Nie wieder Ohnmacht!
    Wir können Spraydosen in die Hände nehmen und jedes Haus, in dem ein(e) VergewaltigerIn wohnt, als solches kennzeichnen, wir können Namen, Adressen, Telefonnummern veröffentlichen, an autonome Zines schicken mit dem Aufruf zu handeln, unser Umfeld so sensibilisieren und gestalten, dass TäterInnen dort keinen Platz (mehr) finden, wir können uns in die Arme nehmen und trösten, wir können unsere Wut für Aktionen und gegenseitige Unterstützung nutzen.
    Wir dürfen weinen und schreien und können all die Folgen der Übergriffe und Vergewaltigungen als normal und nicht als krank empfinden. Wir dürfen schwach sein, aber wir können auch wieder stark werden. Wir dürfen unsere Grenzen setzen, wie wir es wollen und brauchen.
    Wir dürfen zweifeln und können uns stützen. Sexuelle Gewalt ist kein individuelles Schicksal.
    Reclaim your soul!

    Wir müssen keine HeldInnen, aber auch keine Opfer sein. Wir dürfen in Gesprächen, auf Plena oder wo es auch immer um sexuelle Gewalt geht, weinen, wütend sein. Wie oft wird doch in linken Kreisen von der Solidarität gesprochen, von “Vergewaltiger wir kriegen euch”. Aber geht es dabei wirklich um die Betroffenen oder ist es bloß ein neues Mittel um sich mackerig zu produzieren? Wer/Welche von euch hätte sich je getraut auf einem solchen Plenum zu sagen: Verdammte scheiße, ICH habe sexuelle Gewalt erfahren. Raum für Sprüche “dagegen” ist. Aber Raum darüber hinaus zu kommunizieren, wirklich Solidarität zu erfahren?

    Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir es schaffen uns aus den Strukturen zu lösen, dass wir Räume schaffen, in denen wir sicher kommunizieren, Pläne schmieden und uns gegenseitig unterstützen können. Lasst uns die Fesseln zerschlagen und reißen wir die Mauern ein, die uns trennen.

    Wir sind nicht allein.

    Wir sind viele.

    YA BASTA!!! ES REICHT!!!

    VERGEWALTIGER, WIR KRIEGEN EUCH!!!

    (2008)

  • Antworten März 12, 2020

    Ebba

    Hallo Bilke,

    Danke Dir, dass du die Kraft und den Mut eingesetzt hast, um das zu schreiben und zu veröffentlichen. Der Satz „Das sind keine Psychopathen, das sind einfach Typen“ ist sehr gut auf den Punkt gebracht und bleibt bei mir hängen.
    Ich finde es gut, dass du ein Beispiel dafür beschreibst, dass es keine eindeutigen Reaktionen auf Gewalt geben muss, dass verwirrende und unerwartete Gefühle aufkommen können und dass diese von außen oder im Nachhinein unlogisch erscheinen – obwohl sie (auch in ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit) völlig verständlich sind. Was für Bullshit eins verinnerlicht hat, drückt sich halt auch darin aus, dass mensch sich nicht sofort von Gewalttätern distanziert und sich sogar absurderweise selbst Schuld zuschreibt. Es ist traurig, aber auch hilfreich, von deinem Umgang mit dem Scheiß zu lesen. Danke Dir.

    Was mir wichtig ist: Kannst du bei beiden Artikeln eine Content Note/Triggerwarnung davor schreiben?

    Solidarische Grüße, Ebba

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