Wenn Justiz und Polizei den Täter schützen

Ja, ich wurde vergewaltigt. Ein Satz, den ich mir oft selbst zu verstehen geben musste. Für mich schien alles so unwirklich. Als wäre ich in einem endlos langem Alptraum gefangen. Erst war es der Schock, die Angst, dann die Trance. Ich fühlte mich wie in einer Art Wachkoma, ich habe meine Welt um mich herum kaum noch wahr genommen, war ständig abwesend, jeglichen Emotionen weit entfernt. Alleine einkaufen war kaum vorstellbar. Ich traute mich alleine nicht vor die Tür. Schon kurzes Warten alleine hat mich zu heftigen Panikattacken geführt. Das alles waren die Folgen für „5 Minuten Spaß einer anderen Person“.

Es war November. Ich fuhr nach Mainz um mich mit einem früheren Freund zu treffen, den ich seit 8 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Wiedersehensfreude war zunächst groß und ich hatte mich sehr auf diesen Tag gefreut, doch diese verging mir recht schnell. Als ich in Mainz ankam, empfing mich „J“ bereits stark betrunken. Ständig versuchte er mich zu küssen und kam mir immer wieder zu nah. Ich sagte ihm ganz klar, dass ich kein Interesse daran habe und er es lassen soll. Ich sagte, dass zwischen uns definitiv nichts laufen wird. Er verschwand eingeschnappt, kam aber nach einigen Minuten zurück und hatte sein unmögliches Verhalten zunächst eingesehen. Also fuhr ich mit ihm zu dem Wagenplatz auf dem er zu der Zeit zu Gast war.

Zuerst waren wir kurz in seinem Wagen, er heizte den Ofen und wir redeten eine Weile. Später gingen wir auf eine Veranstaltung und tranken etwas. Ich wurde müde und legte mich in seinen Wagen schlafen. Als ich aufwachte, änderte sich meine ganze Welt. Details will ich euch ersparen.

Heulend und in voller Panik rief ich meine beste Freundin an, die nicht ein Wort verstand, aber merkte, dass wohl etwas nicht stimmt. Sie holte mich schleunig gemeinsam mit einem Freund ab. Sie fuhr mit mir zur Polizei. Stundenlang saß ich völlig fertig mit ihr auf der Wache. Diese Fragen waren ekelhaft und widerlich, immer wieder wurde ich gedrängt Details zu erläutern. Nur ein paar Stunden später ohne Schlaf, noch immer in Schockzustand und mit verheulten Augen sollte ich wieder auf die Wache, diesmal allein. Diesmal war es schlimmer als in der vorherigen Nacht. Ich saß zwar bei einer weiblichen Polizeibeamtin, was mich aber nicht schützte! Ständig kam ein männlicher Kollege dazu, der mich drängen wollte Dinge zuzugeben, die nicht stimmten und unterstellte mir, dass ich lügen würde. Einmal kam er sogar hineingestürmt und brüllte mich an. Ich solle ihm jetzt gefälligst alle Details haargenau erklären, sonst könne er sich den Scheiß auch sparen. Ich war ohnehin schon verängstigt und eingeschüchtert, danach verschloss ich mich noch mehr.

Manchmal frage ich mich, ob es ein Fehler war „J“ damals anzuzeigen, denn gebracht hat es mir nichts außer Demütigung.

In den kommenden Wochen und Monaten lebte ich wie ein Kleinkind, das gerade alles neu lernen muss. Ich konnte alleine nirgendwo hingehen, ständig musste man mich begleiten. Selbst kurzes Warten alleine war der absolute Horror für mich, ich verfiel sofort einer Panikattacke. In den ersten Wochen habe ich nicht einmal selbständig gegessen. Ich hatte kein Hungergefühl, Menschen mussten mir Essen vor die Nase stellen damit ich esse. Gar das Waschen musste ich wieder erlernen. Ich musste mich mit mir einigen, dass es nichts Schlimmes ist, nackt zu sein und mich selbst anzufassen. Und wie ein Kind, das Angst vor dem Monster unter dem Bett hat, hatte auch ich Angst. In den ersten Nächten lies mich jedes Geräusch vor der Tür zusammenzucken, ich hatte furchtbare Alpträume. Kaum schloss ich meine Augen sah ich „J“ vor mir und fühlte mich wie in dieser Nacht.

Manche Tage waren so schlimm für mich, dass ich meinem Leben ein Ende setzen wollte. Ich hatte mit mir selbst schon abgeschlossen. Allerdings musste ich Menschen, die mich lieben versprechen, mir nichts anzutun. Dennoch verspürte ich immer wieder die Lust mein Gesicht anzuzünden um eben nicht mehr als „Fleisch“ sondern als Mensch gesehen zu werden. Ich wollte mich einfach nicht mehr als hübsch sehen.

Und all das ist nur ein grober Teil von dem was ich verarbeitet habe, wie sehr ich gekämpft habe klar zu kommen und neu zu lernen ich selbst zu sein.

Knapp ein dreiviertel Jahr später erreichte mich ein Brief meiner Anwältin, als Anlage ein Brief der Staatsanwaltschaft. Die Anzeige wurde abgewiesen. Die Begründung absolut absurd.

Hier folgende Textzeilen aus dem Brief der Staatsanwaltschaft entnommen: „Es besteht bereits nach dem Anzeigenvorbringen kein Anfangsverdacht für eine Straftat, die die Beiordnung eines Rechtsbeistands bereits im Ermittlungsverfahren rechtfertigen könnte. Insbesondere gibt es keinen Anfangsverdacht für eine sexuelle Nötigung/Vergewaltigung…“

„Nach dem Anzeigevorbringen, fehlt es schon an einer strafbaren Handlung im Sinne des §177 Strafgesetzbuch (StGB) in der zur Tatzeit geltenden Fassung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung reicht es nicht aus, dass der Täter gegen den Willen eine sexuelle Handlung an dem Opfer ausführt. Hinzukommen muss ein besonderes Nötigungsmittel zur Überwindung des entgegenstehenden Willens. Hierbei kann es sich um Gewalt, eine Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Seele oder aber eine Ausnutzung einer hilflosen Lage des Opfers handeln.

„Nach der Schilderung der Zeugin wurden von dem Beschuldigten keine Nötigungshandlungen im vorgenannten Sinne eingesetzt.“

Also bin ich nicht in einer hilflosen Lage, wenn ich schlafe? Also ich sehe das definitiv als Nötigung, zumal ich das auch auf der Polizeiwache geschildert habe. Aber gut, der Brief geht noch weiter: „Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist jedoch, dass der Beschuldigt dies erkannte und vorsätzlich handelte.“

Ich frage mich, wie diese Handlungen ausgesehen haben soll, diese steht allerdings nirgends geschrieben.

Er hat sich dahingehend eingelassen, dass man bereits zuvor eine Woche lang „rumgeflirtet“ habe. In der Nacht in dem Bauwagen habe er dann …  Details erspare ich euch. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass die Zeugin damit einverstanden sei. Sie hätte „ja auch so gestöhnt“.

Am Mittag des Tattages ist sodann auch zunächst ein einvernehmlicher Kuss ausgetauscht worden.

Ich bin immer noch völlig fassungslos, dass man meine Aussage komplett missachtet und ignoriert hat. Ich habe nie etwas von einem einvernehmlichen Kuss erzählt, den gab es nämlich nie, jedenfalls nie zwischen „J“ und mir. Zudem ja, wir haben per Chat „geflirtet“, da ich davon ausging, dass „J“ bewusst ist, dass das für mich nur Spaß ist. Und selbst wenn es ihm nicht bewusst war, heißt „Nein“ einfach „Nein“. Also konnte ich im Schlaf wohl in nichts einwilligen. Erneut kochte die Wut und Fassungslosigkeit in mir hoch, tagelang war ich wieder nicht zu gebrauchen. Mit Hilfe von Freunden gelang es mir auch dieses Mal wieder klar zu kommen. Meine Anwältin versuchte trotz Allem noch einmal ihr Bestes um Klage einzureichen.

Wieder abgewiesen.

Das war’s also. Die ganzen Demütigungen für nichts. Dafür, dass ich weiterhin mit dem Wissen leben muss, dass ein Täter unreflektiert in der Stadt rumschwirrt in der ich lebe. Ein Täter, der sich bis heute nicht bewusst ist, was er nicht nur meinem Körper sondern auch meiner Seele angetan hat. Ein Täter, der sich nicht eingesteht einen Fehler getan zu haben. Und dies noch mit schriftlicher Bestätigung der Justiz.

Ich habe ihm tatsächlich nie etwas Schlimmes gewünscht, selbst mit so viel Wut im Bauch. Alles was ich mir wünschte war, dass er konfrontiert wird, reflektiert, versteht. Doch dieser Wunsch bleibt mir wohl für immer verwehrt.

 

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