Ein paar der Gründe, weshalb ich Bayern verlassen musste

Dieser Text im ZEITmagazin hat mich an vieles erinnert. Unter anderem daran, warum ich mit 19 aus Bayern geflohen bin. Sonst so:

1. Die Kindergärtnerinnen, die mit uns „10 kleine N-lein“ singen.

2. Der Alte, der mir auf dem Gehweg entgegenkommt und mich auf die andere Straßenseite schicken will – weil ich auf der falschen, also der linken Straßenseite gehe – ja, GEHE.

3. Der Grundschuldirektor, der mit Schlüsseln schmeißt. Die Religionslehrerin, die einen Mitschüler schlägt. Ende der 90er.

4. Der Polizist, der uns vorm Gymnasium abfängt und droht, wir dürften nie mehr Rad fahren, wenn wir noch mal links fahren.

5. Die Gymnasiallehrer*innen, die uns ständig einbläuen, wir seien die Elite, allein schon weil Gymnasium. Und dann auch noch in Bayern, also die Elite der Elite. Außerdem sei „unser“ Gymnasium das schwerste in Bayern, also seien wir die Elite der Elite der Elite.
Später erfahren, dass sie einem das in jedem bayerischen Gymnasium erzählen.

6. Der Biologielehrer in der achten Klasse, der auf die Bitte einer Schülerin, ob sie wegen der Hitze das Fenster öffnen dürfe, entgegnet: „Dann zieh dich doch aus!“

7. Die gepflegten Söhne des hiesigen Unfallchirurgen, die auf Kellerpartys „Sieg heil“ brüllen. Mit gehobenem Arm.

8. Der Punk, der wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole fast von der Schule fliegt. Es geht um ein durchgestrichenes Hakenkreuz, das er auf seinem Parka trägt.

9. „Jude“ ist da ein Schimpfwort (ganz ohne muslimische/rappende Mitschüler*innen) und man erhält Cola-Weizen, wenn man einen N. bestellt. So steht das in den 2000ern noch in der Karte.

10. Der Chemielehrer, der stets sagt: „I bin doch ned dei N.“, wenn man ihn was fragt.

11. Der Polizist bei der Notrufzentrale, der kläfft „Ist mir doch scheißegal“ und auflegt, nachdem uns eine Jungsgruppe vor Rewe rassistisch beleidigt und mit Messer bedroht, weil eine gebürtige Slowenin in unserer Gruppe ist.

12. Die Geschichtslehrerin, die aus der Psychiatrie zurückkommt und uns erzählt: Wir waren die einzigen, die ihr von der Schule aus gute Besserung gewünscht hatten. Nicht mal von den anderen Lehrer*innen kam was.
Dabei gelten wir im Lehrerzimmer als die schlimmste Klasse der Schule.

13. Die Hauptschüler*innen (von denen natürlich viele zugezogen/muslimisch), die ihre neu gebaute Schule nach dem Shoah-Überlebenden Max Mannheimer benennen wollen. Gegen den Widerstand der Lokalpolitik, die den NS endlich mal ruhen lassen will.
Die Gymnasiast*innen und ihre Lehrer*innen am selben Ort, denen das herzlich egal ist. Die KEINE Solidarität mit den Hauptschüler*innen zeigen.

14. Der neue Direktor, der die Schülerzeitung zensiert, als sie kritisch über die katholische Kirche schreibt.
Der damalige Direktor ist heute als Ministerialbeauftragter für alle Gymnasien Niederbayerns zuständig.

15. Wie sich bis auf eine Ausnahme alle Schwulen erst nach dem Abitur outen. Die Ausnahme ist schon früher anerkannt – als Paradiesvogel. Da ist Schwulsein okay, aber nur dann.

16. Der Schulfreund, den ich mal irgendwie für rebellisch hielt und den ich frage, warum er zum Bundesgrenzschutz gegangen ist. „Ordnung!“, ruft er. Und freut sich darauf, endlich auf einer Demo ein paar Linke verkloppen zu dürfen.

All das sind bayerische Normalitäten, die ich 19 Jahre lang erlebt habe. Sie wachsen aus einem Popanzentum und einer Kultur der Ignoranz, wie sie die CSU bis heute fördert.

Dabei gibt es auch ein anderes Bayern: eine Herzlichkeit, einen Widerstandsgeist. Und das Gegenteil von entmenschlichtem Ressentiment: humane Wut.

Auf diese Wut hoffe ich am Wahlsonntag. Machts da koan Scheiß ned.

 

Fabian Stark arbeitet für Rimini Protokoll und das TONIC Magazin. Wer mehr über die Gefilde seiner Jugend, aber noch a bissl früher, katholischer und polemischer erfahren möchte, dem empfiehlt er das Buch von Andreas Altmann: „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meines Mutters und meine eigene Scheißjugend“, bei Twitter @StarkimRing.

Be first to comment